Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsanwaltsbeiordnung im Vaterschaftsfeststellungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 78 Abs. 2 FamFG gebietet es, dem bedürftigen Beteiligten einen Rechtsanwalt beizuordnen, wenn aus seiner Sicht die Sach- und Rechtslage derart schwierig erscheint, dass sich eine anwaltliche Beiordnung als geboten darstellt.

2. In Vaterschaftsanfechtungsverfahren ist die Rechtslage für einen juristischen Laien, insbesondere für einen Beteiligten mit begrenzten Kenntnissen der deutschen Schriftsprache so schwierig, dass ihm ein Rechtsanwalt beizuordnen ist.

 

Normenkette

FamFG § 78 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Hamburg-Altona (Beschluss vom 29.04.2010; Aktenzeichen 350 F 89/10)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 4) gegen den Beschluss des AG Hamburg-Altona, Familiengericht, vom 29.4.2010 (Az. 350 F 89/10) wird dieser dahingehend abgeändert, dass dem Beteiligten zu 4) Rechtsanwältin B. beigeordnet wird.

 

Gründe

I. Mit genanntem Beschluss hat das Familiengericht den Beteiligten des Abstammungsverfahrens Verfahrenskostenhilfe bewilligt, aber ihre Anträge auf Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zurückgewiesen. Der Beteiligte zu 4) betreibt die Anfechtung der Vaterschaft zu den Beteiligten zu 1) und 2), welche während der Ehezeit mit der Kindesmutter, der Beteiligten zu 3), geboren sind. Diese hatte dem Beteiligten zu 4) nach der Trennung von ihm in einem Gespräch im Mai 2009 mitgeteilt, während der Empfängniszeit der Kinder ein Verhältnis mit einem anderen Mann, ihrem früheren Arbeitskollegen, gehabt zu haben. Sie zieht die Vaterschaft dieses Mannes in Betracht, aufgrund des Kontaktes mit beiden Männern während der Empfängniszeit. Die Beteiligten sind chilenischer Abstammung, die Kindesmutter ist inzwischen deutsche Staatsangehörige. Das Scheidungsverfahren zwischen den Beteiligten zu 3) und 4) ist anhängig.

Gegen den am 5.5.2010 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 4) am 7.6.2010, einem Montag, sofortige Beschwerde eingelegt. Dieser hat das Familiengericht, soweit es sich um die Ratenzahlungsanordnung handelte, abgeholfen, im Übrigen aber die Ablehnung der Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 4) aufrechterhalten.

II. Gemäß Art. 111 FGG-RG richtet sich die vorliegende Entscheidung nach dem FamFG, weil das Verfahren nach dem 1.9.2009 eingeleitet worden ist.

Nach dem somit anwendbaren §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO hat über die Beschwerde die Einzelrichterin zu entscheiden. Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, und führt auch in der Sache zum Erfolg.

Das vorliegende Abstammungsverfahren gem. § 169 Nr. 4 FamFG unterfällt nicht den in § 112 FamFG abschließend aufgezählten Familienstreitsachen, weshalb nach § 114 Abs. 1 FamFG kein Anwaltszwang besteht.

Ist eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin nicht vorgeschrieben, so ist eine Beiordnung nur vorzunehmen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung erforderlich erscheint, § 78 Abs. 2 FamFG.

Die Frage, ob eine Sach- und Rechtslage schwierig ist, ist nicht aus Sicht des erfahrenen Familienrichters, sondern aus der Perspektive eines juristischen Laien zu entscheiden, der ohne besondere Vorkenntnisse um Rechtsschutz nachsucht und sich unter Umständen nach Trennung oder Scheidung in einer schwierigen Lebensphase befindet (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 580). Dabei ist die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage auch nicht abstrakt aus Sicht eines fiktiven Beteiligten zu beurteilen, sondern konkret aus der Sicht des antragstellenden Beteiligten (vgl. OLG Hamburg, Entsch. v. 23.3.2010 - 10 WF 91/09, zitiert bei juris). Ausschlaggebend ist der konkrete Einzelfall (vgl. BGH FamRZ 2009, 857; OLG Hamburg, Entsch. v. 28.1.2010 - 12 WF 254/09, zitiert bei juris).

Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Kammerbeschluss v. 22.6.2007 - 1 BvR 681/07 - und Kammerbeschluss v. 6.5.2009 - 1 BvR 439/08) ist hinsichtlich der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts auf Umfang und Schwierigkeit der Sache und auch auf die Fähigkeit der Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken, abzustellen. Entscheidend sei, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte.

Diese Grundsätze haben auch im Rahmen von § 78 Abs. 2 FamFG zu gelten. Zwar stellt diese Vorschrift anders als § 121 Abs. 2 ZPO ihrem Wortlaut nach allein auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und nicht auf den Grundsatz der Waffengleichheit oder auf subjektive Kriterien ab. Auch nach der Gesetzesbegründung ist die Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung allein nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen, sie kommt nur unter "engen Voraussetzungen" in Betracht (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 214). Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift, unter Beachtung, dass dem aus dem Sozial- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Gleichstellung von...

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