Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 21.10.2005; Aktenzeichen 331 O 57/05) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt u.a. weiteren materiellen Schadensersatz sowie weiteres Schmerzensgeld wegen eines Zusammenpralls mit einem von der Beklagten gesteuerten Fahrrad. Auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Es geht von einer Schadensersatzpflicht der Beklagten im Rahmen einer Haftungsquote von 100 % aus, weil diese einen Rotlichtverstoß an der auch für sie als Radfahrerin geltenden Ampel am Fußgängerüberweg am Ladenbeker Furtweg begangen habe, unaufmerksam gefahren sei und gegen § 3 IIa StVO verstoßen habe. Den Kläger selbst treffe "kein relevantes Mitverschulden". Auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung wird verwiesen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung.
Sie ist zum einen der Auffassung, dass sie nicht "grob fahrlässig" gehandelt habe. Zum anderen gelte die Ampel an der hier fraglichen Stelle nicht für den Radweg. Jedenfalls habe sich die Beklagte von dieser Ampel "nicht betroffen gefühlt". Die Ampel sei zudem verdeckt gewesen. Den Kläger treffe ein Mitverschulden, weil er sich nicht vergewissert habe, ob er keinem Fahrrad in den Weg laufe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts dahingehend zu ändern, dass unter Klagabweisung im Übrigen
1. die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger EUR 2.780,50 zu zahlen, und
2. festzustellen, dass die Beklagte und Berufungsklägerin nur verpflichtet ist, dem Kläger und Berufungsbeklagten den weitergehenden materiellen und immateriellen Schaden anlässlich des Verkehrsunfalls vom 20.8.2003 zur Hälfte zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf die jeweiligen Sozialversicherungsträger übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass das Landgericht zu Recht von einer alleinigen Haftung der Beklagten ausgegangen sei. Ihn selbst treffe kein Mitverschulden. Zudem ist der Kläger der Auffassung, dass das zuerkannte Schmerzensgeld zu gering ist, weil die durch den Unfall ausgelöste psychische Instabilität nicht genug berücksichtigt worden sei. Im Wege der Anschlussberufung beantragt der Kläger deshalb, das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über das weiter zugesprochene Schmerzensgeld hinaus weitere 2.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit 20.11.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Das dem Kläger insgesamt zugesprochene Schmerzensgeld von EUR 6.000 (1.500,- bereits vorprozessual erhalten) sei angemessen. Die Behauptung der psychischen Instabilität sei aus der Luft gegriffen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht auf Grund des Senatsbeschlusses vom 29.3.2006 durch den Einzelrichter, § 526 Abs. 1 ZPO. Die zulässigen Berufungen sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
I.
1. Zu Recht ist das Landgericht von einem Rotlichtverstoß (§ 37 II Nr. 1 Satz 7 iVm Nr. 2 StVO) der Beklagten ausgegangen. Die an der hier fraglichen Stelle aufgestellte Ampel gilt nicht nur für die Autofahrer auf der Fahrbahn, sondern auch für die Radfahrer auf dem Radweg. Auch aus Sicht des Radfahrers ist an der hier fraglichen Stelle klar erkennbar, dass Fußgänger, die die Straße überqueren wollen (und nicht auf dem Radweg selbst stehend auf Fußgänger-Grün warten dürfen), vor der Überquerung der Fahrbahn zuvor notwendigerweise den Radweg passieren müssen.
Auch aus Sicht eines Radfahrers an der hier fraglichen Stelle ist keinerlei Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass er selbst - im Gegensatz zum Autoverkehr - ungeachtet des Ampellichts ständigen, ununterbrochenen und auch nicht zu unterbrechenden Vorrang vor den Fußgängern haben soll. Vielmehr ist offensichtlich, dass die Ampel auch zu dem Zweck aufgestellt worden ist, die Gefahr von Kollisionen zwischen Radfahrern und querenden Fußgängern zu verringern. Es lag daher auch aus Sicht der Beklagten auf der Hand, dass die Ampel den Fußgängern nicht nur ein möglichst gefahrloses Überqueren der Fahrbahn selbst ermöglichen sollte, sondern auch des zuvor zu überquerenden Radwegs, und dass sie deshalb das Rotlicht zu beachten hatte. Dass an der hier fraglichen Stelle auf dem Radweg keine Haltlinie vorhanden ist, führt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Denn Rotlicht gilt auch ohne das Vorhandensein von Haltlinien; diese gelten nur "ergänzend" zu Haltgeboten durch Lichtzeichen (§ 41 III Nr. 3 StVO - Zeichen 294). Aus dem Beschluss des OLG Hamm vom 4.12.2003 (4 Ss OWi 786/03, Senat für Bußgeldsachen, VRS 107, 134) ergibt sich nichts anderes. Dort hat das OLG Hamm eine "mittig über der Fahrspur" der Fahrbahn angebrachte Ampel als für die Radfahrer auf dem baulich von der Fahrbahn getrennten Radweg nicht verbindlich angesehen. Eine solche bauliche Situation war hier aber gerade nich...