Verfahrensgang

AG Weimar (Entscheidung vom 13.01.2015)

 

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 13.01.2015 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Weimar zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 13.01.2015 ist gegen den Betroffenen - in Übereinstimmung mit dem zugrunde liegenden Bußgeldbescheid - wegen eines gegen § 9 Abs. 3 StVO verstoßenden "fahrlässigen Nichtdurchlassens eines in entgegenkommender Richtung geradeaus weiterfahrenden Radfahrers, so dass es zum Unfall kam" eine Regelgeldbuße von 70,- € nach lfd. Nr. 39.1 BKat verhängt worden.

Zum Tathergang ist in den Urteilsgründen unter Ziffer I. Folgendes festgestellt:

"Der Betroffene, der bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, befuhr am 28.02.2014 gegen 15.45 Uhr mit seinem PKW der Marke Skoda Fabia die S.straße in W aus Richtung Stadtzentrum kommend. An der Ampelkreuzung S.straße Abzweig T wollte er nach links auf die B 7 in Richtung E abbiegen. Zur selben Zeit befuhr der Geschädigte P mit seinem Fahrrad den kombinierten Fußgänger-Radweg (Zeichen 240) aus Richtung T, W Straße kommend, um die B 7 zu queren und weiter in Richtung S.staße, Stadtzentrum, zu fahren.

Für alle Beteiligten wird der Verkehr durch eine Lichtzeichenanlage geregelt.

Der Betroffene fuhr in den Kreuzungsbereich ein, ließ entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren und bog nach links ab. Hierbei bemerkte er nicht den die Fahrbahn querenden Radfahrer. Auf dem Überweg kam es zum Zusammenstoß zwischen dem PKW und dem Radfahrer...

...Welches Lichtzeichen die kombinierte Fußgänger-Radfahrerampel hatte, als der Geschädigte diese passierte, ist unklar."

Zur rechtlichen Würdigung ist unter Ziffer II. der Urteilsgründe unter anderem ausgeführt:

"...Der Betroffene hat als Linksabbieger erhöhte Sorgfaltspflichten. Er hätte darauf achten müssen, ob er einen Fußgänger- oder Radweg kreuzt und eventuell einen Radfahrer an der Durchfahrt hindert. Wegen der vorrangigen Bedeutung der Durchfahrtsregelung gilt diese auch dann, wenn der Radfahrer verbotswidrig bei Rot auf den Überweg aufgefahren sein sollte...

...Der Betroffene handelte fahrlässig, er hat die ihm als Linksabbieger obliegende erhöhte Sorgfaltspflicht in fahrlässiger Weise außer Acht gelassen und dadurch den Zusammenstoß mit dem Radfahrer verursacht.

Er hat sich damit eines fahrlässigen Verstoßes nach § 9 Abs. 3 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 9 StVO, 24 StVG schuldig gemacht."

Am 20.01.2015 hat der Verteidiger des Betroffenen die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diese nach am 12.02.2015 erfolgter Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils am 09.03.2015 mit der Verletzung rechtlichen Gehörs und der allgemeinen Sachrüge begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 20.04.2015 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

Mit Beschluss vom 03.09.2015 hat die zuständige Einzelrichterin des Senats für Bußgeldsachen die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die danach zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Die vom Amtsgericht Weimar getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StVO nicht. Danach muss derjenige, der abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, zu denen - wie sich aus Halbsatz 2 ergibt - auch Fahrräder gehören, durchfahren lassen.

Die Tatrichterin ist ausweislich der Urteilsgründe davon ausgegangen, dass es für die Annahme eines Sorgfaltspflichtverstoßes des Abbiegenden gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StVO unerheblich ist, ob das ihm entgegenkommende Fahrzeug seinerseits unter Missachtung eines Ampelrotlichts in den Gefahrenbereich eingefahren ist und hat deshalb davon abgesehen, den vom Betroffenen behaupteten Rotlichtverstoß des Geschädigten aufzuklären. Diese Rechtsauffassung ist fehlerhaft.

a) Zwar ist in der älteren zivil- und bußgeldrechtlichen Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten worden, dass der Linksabbieger von seiner Wartepflicht nach § 9 Abs. 3 StVO gegenüber entgegenkommenden Fahrzeugen selbst dann nicht befreit ist, wenn diese verkehrswidrig bei Rot in die Kreuzung hineinfahren (vgl. OLG Karlsruhe VRS 47, 464; OLG Hamburg - Zivilsenat - VerkMitt 1967; im Ergebnis wohl ebenso: OLG Köln - Zivilsenat - VersR 1965, 625; OLG Oldenburg - Zivilsenat - DAR 1964, 20). Jedoch ist der neueren Auffassung beizupflichten, dass in einem solchen Fall kein Verstoß des Linksabbiegers gegen § 9 Abs. 3 StVO, sondern allenfalls gegen § 1 Abs. 2 StVO in Betracht kommt (vgl. OLG Hamburg VRS 58, 58; OLG Zweibrücken VRS 66, 150; im Ergebnis wohl ebenso: BayObLG VRS 48, 227).

b) § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO normiert einen Vorrang des entgegenkommenden und - bei Schienenfahrzeugen und Fahrrädern mit...

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