Leitsatz (amtlich)
Die Aussetzung des Restes einer nach den Vorschriften des Erwachsenenvollzugs vollzogenen Jugendstrafe, deren Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 6 JGG bindend an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden war, ist nach dem Maßstab des § 88 JGG, nicht des § 57 StGB, zu beurteilen (wie hM).
Normenkette
JGG § 88; StGB § 57
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg vom gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer als Strafvollstreckungskammer, vom wird verworfen.
Entlassungstermin ist nunmehr der .
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg vom ist unbegründet.
Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer mit der angefochtenen Entscheidung die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der durch Urteil des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer als Jugendschwurgericht, vom wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung verhängten Jugendstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Denn die dafür erforderlichen Voraussetzungen des § 88 JGG sind erfüllt.
1. In der umstrittenen Rechtsfrage, ob die Prüfung der Reststrafenaussetzung einer nach den Vorschriften des Erwachsenenvollzugs vollzogenen Jugendstrafe, deren Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 6 JGG bindend an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde, nach dem Maßstab des § 88 JGG oder des § 57 StGB durchzuführen ist, folgt der Senat - ebenso wie die Strafvollstreckungskammer im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft Hamburg sowie zur Generalstaatsanwaltschaft Hamburg - der in Rechtsprechung und Literatur herrschenden Meinung, derzufolge § 88 JGG anzuwenden ist (so OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.5.1994, in NStE Nr. 16 zu § 454b StPO; OLG Hamm, Beschl. v. 2.2.1996, StV 1996, 277 ff.; OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 21.12. 1998, NStZ-RR 1999, 91; OLG Dresden, Beschl. v. 14.10.1999, NStZ-RR 2000, 381; OLG Rostock, Beschl. v. 17.12.2004, juris; Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 24.5.2005, juris; OLG Bamberg, Beschl. v. 25.10.2005, juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.3.2008, NStZ 2009, 46; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.11. 2010, juris; ThürOLG, Beschl. v. 3.1.2012, OLGSt JGG § 88 Nr. 4; Eisenberg, JGG, 16. Aufl. § 85 Rn. 22; Sonnen in: Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 6. Aufl., § 85 Rn. 16; Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 85 Rn. 14; Rose in Ostendorf, NK-JGG, § 88 Rn. 1; LK-Hubrach, 12. Aufl., § 57 Rn. 2; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 57 Rn. 2; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 57 Rn. 3; Schall in SK-StGB, 124. Lfg. - Sept. 2010 -, § 57 Rn. 4; Mosbacher in SSW-StGB, § 57 Rn. 2; Bußmann in Matt/Renzikowski, StGB, § 57 Rn. 2; Bauer, Die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsorgan in Jugendsachen, Rpfl. 1992, 145, 146; Kühn, Vollstreckung nach Herausnahme aus dem Jugendvollzug, NStZ 1992, 526, 527; Böhm in JR 1997, 213 ff.; Rzepka, StV 1998, 349 ff.; Neubacher, Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Abgabe der Vollstreckung gemäß § 85 VI JGG, GA 2006, 737, 740 ff.; a.A. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.4.1994, JR 1997, 212 ff., und Beschl. v. 12.11.2008, NStZ-RR 2009, 123 - nur LS -; OLG München, Beschl. v. 12.11.2008, juris; OLG Nürnberg Beschl. v. 17.11. 2009, juris; KG Berlin, Beschl. v. 5.4.2011, juris; Groß in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 57 Rn. 9; LR-Graalmann-Scheerer; 26. Aufl., § 454 Rn. 105; Heinrich, Die Strafausetzung nach Abgabe der Vollstreckung gem. § 85 VI JGG, NStZ 2002, 182 ff., insbes. 184 ff.).
Die für die Anwendung des § 88 JGG von der herrschenden Meinung genannten Gründe fallen nach Auffassung des Senats bei einer Gesamtabwägung stärker ins Gewicht als diejenigen Argumente, die sich für die Heranziehung des § 57 StGB anführen lassen. Der Wortlaut des § 85 Abs. 6 JGG streitet eher für eine Prüfung der Voraussetzungen für eine vorzeitige bedingte Haftentlassung nach dem Maßstab des § 88 JGG. Zwar verweist jene Norm weder unmittelbar auf § 57 StGB noch direkt auf § 88 JGG. Nach § 85 Abs. 6 S. 2 JGG sind aber mit der Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde (lediglich) die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Strafvollstreckung anzuwenden. Diese Regelung bezieht sich nach ihrem Wortlaut ausschließlich auf prozessuale Normen, nicht jedoch auf das materielle Strafrecht. Danach verbleibt es dabei, dass sich die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe nach § 57 StGB richtet, während die Aussetzung der Vollstreckung einer restlichen Jugendstrafe von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 88 JGG abhängt. Der Gesetzgeber hat nicht etwa eine generelle Regelung des Inhalts getroffen, dass der zu einer Jugendstrafe Verurteilte nach seinem 24. Lebensjahr im ...