Leitsatz (amtlich)
1. Gegen eine ablehnende Bewilligungsentscheidung im Verfahrenskostenhilfeverfahren ist im Fall einer Katalogsache des § 57 S. 2 FamFG auch ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Erörterung die sofortige Beschwerde statthaft.
2. Maßgeblich für die Erfolgsaussicht ist grundsätzlich nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der der gerichtlichen Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag. Entfällt die Erfolgsaussicht während des Verfahrens ist daher grundsätzlich Verfahrenskostenhilfe zu versagen. Eine Ausnahme ist geboten, wenn das Gericht die Bewilligungsentscheidung pflichtwidrig verzögert hat, also trotz Entscheidungsreife nicht unverzüglich entschieden hat. Wenn sich hier die Erfolgsprognose zwischen Entscheidungsreife und Entscheidung verschlechtert hat, ist dies zu berücksichtigen.
3. Der Antragsteller kann eine Vermutung der Dringlichkeit in einem Gewaltschutzverfahren gemäß § 214 Abs. 1 S. 2 FamFG durch sein eigenes Verhalten widerlegen. Sie entfällt, wenn der nicht durch eine gerichtliche Regelung geschützte Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt. Er gibt dann durch sein Verhalten selbst zu erkennen, dass es "ihm nicht eilig ist". Die im Wettbewerbsrecht entwickelten Grundsätze enthalten einen verallgemeinerungsfähigen Ausschlussgedanken, der jedenfalls für den Erlass einer Gewaltschutzanordnung gilt.
4. Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge des Antragstellers im Verfahren können die Dringlichkeitsvermutung widerlegen.
Normenkette
FamFG § 57 S. 2, § 214 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
AG Hamburg-Altona (Beschluss vom 11.09.2020; Aktenzeichen 352 F 119/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg - Altona vom 11. September 2020 aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den VKH - Antrag an das Amtsgericht Hamburg - Altona zurückverwiesen.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer Gewaltschutzanordnung in einem einstweiligen Anordnungsverfahren.
Die Beteiligten waren miteinander verheiratet. Die Antragstellerin behauptet, dass der Antragsgegner am 26. Mai 2020 gegen ihren Willen in den Flur ihrer Wohnung eingedrungen sei. Sie habe ihn zurückdrängen können. Er habe anschließend einen Fuß zwischen die Tür gestellt und sei erst gegangen, nachdem er ihr ein Formular zur Einkommensteuererklärung überreicht habe. Am späten Abend hätten sie und ein Nachbar gesehen, dass er alle vier Reifen ihres Autos zerstochen habe. Ihre Schilderungen hat die Antragstellerin durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.
Am 28. Mai 2020 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung gestellt. Diesen hat das Amtsgericht dem Antragsgegner zur Stellungnahme übersandt, der den Ablauf abweichend geschildert hat. Er hat seinerseits eine eidesstattliche Versicherung eingereicht. Darauf hat das Amtsgericht einen Termin zur Erörterung für den 17. Juni 2020 anberaumt. Auf Antrag der Antragsgegnervertreterin hat es den Termin auf den 27. Juli 2020 verlegt und gleichzeitig den Beteiligten einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Die Umladung erreichte den Antragstellervertreter nicht rechtzeitig, so dass er vergeblich am Gerichtsort erschien. Ein Vergleich kam im weiteren Verlauf nicht zustande, da der Antragsgegner zweimal Änderungsvorschläge unterbreitete. Die Antragstellerin stimmte jeweils zu.
Am 18. Juni 2020 hat die Antragstellerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt und eine Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eingereicht. Unter dem 23. Juni 2020 bat der Antragstellervertreter seinerseits um Verlegung des (verlegten) Termins und wies im Rahmen seines Antrags auf zahlreiche bereits bestehende Termine und den 3-wöchigen Urlaub der Antragstellerin hin. Unter dem 21. Juli 2020 und dem 22. Juli 2020 erneuerte der Antragstellervertreter sein noch nicht beschiedenes Terminsverlegungsgesuch und wies darin wiederum auf zahlreiche bereits bestehende Termine hin. Am 22. Juli 2020 verlegte das Gericht den anberaumten Termin auf einen Tag, der in den zuvor mitgeteilten Jahresurlaub des Antragstellervertreters fiel. Darauf bat dieser erneut telefonisch und schriftsätzlich um Terminsverlegung, dem das Gericht nachkam.
Am 4. August 2020 bat nun die Antragsgegnervertreterin ihrerseits um eine Verlegung des Termins und wies dabei auch auf den anstehenden 6-wöchigen Urlaub des Antragsgegners hin. Darauf hob das Amtsgericht am 11. September 2020 den für den 23. September 2020 anberaumten Termin auf und wies den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurück. Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin habe keine Aussicht auf Erfolg. Es bestehe kein Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden. Der Antragstellervertreter habe zweimal eine Verlegung des anberaumten Termins beantragt und damit zu erkennen gegeben, dass kein Bedürfnis für ein sofortiges...