Leitsatz (amtlich)

›1. Wird die Zustellung eines Schriftstücks mehraktig sowohl vor als auch nach Inkrafttreten des Zutellungsreformgesetzes ausgeführt, ist für jeden Akt das jeweils zur Zeit seiner Vornahme geltende Recht anzuwenden. Fehlt es an einer Unausführbarkeit der Zustellung nach §§ 178 Abs. 1 Nr. 3 oder 180 ZPO (n.F.) -insbesondere durch Einlegen des zuzustellenden Schriftstücks in den Briefkasten des Adressaten-, ist eine Ersatzzustellung durch in der Zeit ab 1. Juli 2002 vorgenommene Niederlegung auch dann unwirksam, wenn der Versuch einer Zustellung durch Übergabe an den

2. Zustellungsadressaten und die Mitteilung über die vorzunehmende Niederlegung gem. § 182 ZPO (n.F.) vor dem 1. Juli 2002 erfolgt sind.‹

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten am 17. Dezember 2001 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen am 24. Dezember 2001 eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 7, mit Urteil vom 16. Mai 2002 unter Herabsetzung der Geldstrafe verworfen. Dagegen hat der Angeklagte am 23. Mai 2002 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Revision eingelegt und mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Aufgrund richterlicher Verfügung vom 25. Juni 2002 hat die Geschäftsstelle des Landgerichts das Urteil am 28. Juni 2002 der Post zwecks Zustellung an den Angeklagten übersandt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde hat der Postzusteller am 29. Juni 2002 den Angeklagten in dessen Wohnung nicht angetroffen und eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt; am 2. Juli 2002 ist die das Urteil enthaltende Sendung bei der Postfiliale niedergelegt worden. Auf Anfrage des Senats hat die Deutsche Post AG unter dem 3. September 2002 mitgeteilt, die Sendung sei nicht abgeholt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

II.

An der Entscheidung über die Revision ist der Senat zurzeit gehindert, weil die Frist zur Begründung des Rechtsmittels (§ 345 Abs. 1 StPO) nicht abgelaufen ist. Diese Frist ist nicht in Lauf gesetzt worden, weil es an einer wirksamen Zustellung des Berufungsurteils fehlt.

1. Die vorliegend mehraktige Ausführung der Zustellung ist dadurch gekennzeichnet, dass am 29. Juni 2002 und 2. Juli 2002 unterschiedliches Recht galt. Die zivilprozessrechtlichen Zustellungsvorschriften, auf die § 37 Abs. 1 StPO für das Strafverfahren verweist, sind durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) vom 25. Juni 2001 (BGBl I, 1206) mit Wirkung vom 1. Juli 2002 (Art. 4 ZustRG) grundlegend verändert worden; insbesondere weichen die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung durch Niederlegung voneinander ab (§§ 182 (a.F.), 181 (n.F.) ZPO).

Nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts finden, sofern sich aus Überleitungsvorschriften oder Sinn und Zweck der Regelung nichts abweichendes ergibt, geänderte Vorschriften auch in laufenden Verfahren oder Verfahrensabschnitten vom Tage ihres Inkrafttretens an Anwendung (vgl. jeweils m.w.N. BVerfGE 65, 76, 98; für das Zivilverfahren Hartmann/Albers, ZPO, 60. Aufl., Einl. Rdn. 78; Vollkommer in Zöller, ZPO, Einl. Rdn. 104 m.w.N.; für das Strafverfahren Rieß in Löwe-Rosenberg, StPO, Einl. Abschn. D Rdn. 19). Das Zustellungsreformgesetz enthält keine Überleitungsvorschriften (siehe auch Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drs. 14/4554, S. 29, die sich nur dazu verhält, das Gesetz solle erst zu Beginn des 13. auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft treten, um der Praxis Gelegenheit zu geben, sich auf die neuen Vorschriften einzustellen). Der Zweck der Neuregelungen, den gewandelten Lebensverhältnissen Rechnung zu tragen, das Zustellungsrecht zu vereinfachen und insbesondere die Zustellungen durch Niederlegung zurückzudrängen (vgl. Regierungsentwurf, a.a.O., S. 13) gebietet keine Abweichung von den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts. Demgemäß ist, auch wenn die Zustellung schon vorher eingeleitet worden ist, für die einzelnen Zustellungsakte das jeweils zu deren Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (ebenso Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., Vorbem. § 166 (n.F.) Rdn. 1).

2. Am 29. Juni 2002 lagen hier die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post nach §§ 37 Abs. 1 StPO, 182 (a.F.) ZPO vor. Der Angeklagte als Zustellungsadressat war in seiner Wohnung nicht angetroffen worden, eine Ersatzzustellung in Wohnung und Haus nach § 181 (a.F.) ZPO war nicht bewirkbar und der Zusteller hinterließ in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise eine schriftliche Mitteilung über die vorzunehmende Niederlegung.

Damit war die Zustellung aber nicht bewirkt. Schon nach dem Wortlaut des § 182 (a.F.) ZPO erfolgte die Zustellung erst durch die Niederlegung bei der Post, nicht schon allein mit der vorherigen Hinterlassung einer diesbezüglichen Mitteilung bei dem Zustellungsadressaten (vgl. Stöber ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge