Leitsatz (amtlich)
Der Antrag des Berufungsklägers gem. §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen, ist trotz Versäumung eines Schutzantrags gem. § 712 Abs. 1 ZPO in der Vorinstanz zulässig. Es besteht allerdings in der Regel kein Anlass zur Einstellung, wenn das erstinstanzliche Urteil nur gegen Sicherheitsleistung des Berufungsbeklagten vollstreckbar ist. Eine Übertragung der zu § 719 Abs. 2 ZPO ergangenen Rechtsprechung des BGH (z.B. Beschl. v. 4.8.2008 - EnZR 15/08, BeckRS 2008, 16668), scheidet wegen der unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen aus.
Der Umstand, dass die vorläufige Vollstreckung von Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen regelmäßig das Prozessergebnis vorwegnimmt, rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme, dass eine Vollstreckung für die Beklagte nicht zu ersetzende Nachteile zur Folge hätte (Anschluss an BGH BeckRS 2008, 16668 Rz. 9; BGH NJWE-WettbR 1999, 139). Ein nicht zu ersetzender Nachteil ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Berufungsbeklagte die zu vollstreckenden Auskünfte nicht nur im jeweiligen Rechtsstreit, sondern auch im Rahmen weiterer gegen den Berufungskläger geführten Gerichtsverfahren zur Schadensberechnung verwenden kann. Insoweit ist der Berufungskläger darauf verwiesen, seine Position im Rahmen der anderen Gerichtsverfahren mit den dort vorgesehenen Mitteln zu wahren. Die Sicherheitsleistung ist nicht dazu bestimmt, etwaige Nachteile aus anderen rechtsförmig betriebenen Rechtsstreitigkeiten abzudecken.
Normenkette
ZPO §§ 707, 712, 719
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 10.05.2012; Aktenzeichen 327 O 606/10) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LG Hamburg vom 10.5.2012 - 327 O 606/10, einstweilen einzustellen, wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag nach §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO ist zulässig.
Dem steht auch der Umstand, dass die Beklagte nicht bereits erstinstanzlich Vollstreckungsschutz gem. § 712 ZPO geltend gemacht hat, nicht entgegen.
Es ist streitig, ob in der Berufungsinstanz ein Antrag nach § 719 Abs. 1 ZPO zulässig ist, welcher auf Vorbringen gestützt wird, das bereits in erster Instanz hätte vorgebracht werden können und einen Antrag nach § 712 ZPO gerechtfertigt hätte. Der Senat bejaht diese Frage mit der inzwischen wohl ganz überwiegenden Auffassung (OLG Düsseldorf NJW-RR 1987, 702; OLG Jena MDR 2002, 289 -zitiert nach juris Rz. 7; KG MDR 2005, 117; KG NJOZ 2002, 194, 195; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2010, 120, 121; OLG Frankfurt NJW 1984, 2955; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 719 Rz. 3; a.A. OLG Frankfurt GRUR 1989, 373; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 69. Aufl. 2011, § 719 Rz. 3; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl. 2011, § 719 Rz. 2 m.w.N.).
Für die gegenteilige Ansicht fehlt es an einer tragfähigen Grundlage. Die Regelung von § 712 Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass die Vollstreckung für den Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Nach §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO steht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung dagegen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Beide Rechtsbehelfe haben somit unterschiedliche Voraussetzungen, so dass eine Verneinung der strengeren Voraussetzungen des § 712 Abs. 1 ZPO nicht bedeutet, dass ein Antrag nach §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO keinen Erfolg haben kann (OLG Jena MDR 2002, 289 f. - zitiert nach juris Rz. 7).
Eine Übertragung der zu § 719 Abs. 2 ZPO ergangenen Rechtsprechung des BGH scheidet wegen der unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen aus (so auch OLG Düsseldorf NJW-RR 1987 702; KG, NJOZ 2005,771KG NJOZ 2002, 194, 195). Denn diese Vorschrift regelt ausdrücklich und unter strengeren Voraussetzungen als § 707 Abs. 1 ZPO den nicht vergleichbaren Sonderfall einer Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Revisionsinstanz. Die Ausführungen des BGH beziehen sich ausdrücklich auf § 719 Abs. 2 ZPO, der die Einstellungsmöglichkeiten des Schuldners im Vergleich zu den §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO deshalb stark einschränkt, weil der Schuldner nach Durchlaufen von zwei Rechtszügen im Rechtsstreit unterlegen ist. Daraus folgt auch die unterschiedliche Interessenlage derjenigen Parteien, die anders als im Revisionsverfahren noch eine zweite Tatsacheninstanz vor sich haben (KG NJOZ 2002, 194, 195).
Auch der von der Beklagten hilfsweise gestellte Antrag auf Vorabentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit (§ 718 ZPO) mit dem Ziel einer Heraufsetzung der von der Klägerin zu leistenden Sicherheit steht dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht entgegen.
2. Der Antrag nach §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO ist jedoch unbegründet.
a) Nach diesen Vorschriften kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der hierbei zu treffenden...