Entscheidungsstichwort (Thema)
So lange du wild bist
Leitsatz (amtlich)
1. Der aus wenigen Worten bestehende Refrain eines gesungenen Liedes ist nicht bereits deshalb isoliert als Sprachwerk urheberrechtsschutzfähig, weil er über eine gewisse Originalität verfügt.
2. Auch im Rahmen der sog. "kleinen Münze" setzt ein Sprachwerk einen mit Mitteln der Sprache ausgedrückten Gedanken- bzw. Gefühlsinhalt voraus. Bei der Beurteilung sind allgemeinsprachliche Ausdrucksweisen bzw. sprachübliche Wendungen unberücksichtigt zu lassen. Allein die überraschende bzw. unübliche Bezugnahme durch die Variation eines einzelnen Wortes kann hierfür nicht ausreichen.
Normenkette
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; UWG §§ 3, 4 Nr. 9
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 31.07.2008; Aktenzeichen 308 O 748/07) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt nach Beratung, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Hamburg vom 31.7.2008 gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat.
Gründe
Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die knappe, im Ergebnis aber zutreffende Begründung kann der Senat Bezug nehmen. Die Ausführungen in der Berufungsschrift rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Sie geben dem Senat Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:
1. Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist die Schutzfähigkeit einer einzelnen Textzeile ("alles ist gut so lange du wild bist"), die Bestandteil eines Gesamtwerks aus Text und Musik ("Sei wild") ist (Anlage K 1). Bei dieser Zeile handelt es sich letztlich um den Refrain eines gesungenen Liedes. Vor diesem Hintergrund liegt schon im Ausgangspunkt eine andere Situation vor als bei der überwiegenden Zahl der Gerichtsentscheidungen, die insbesondere der Kläger für seine Rechtsauffassung zitiert hat. Dort ging es ersichtlich weitgehend um die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werktiteln, selbständiger Werbesprüche bzw. kurzer Werbeslogans, die ihrerseits nicht integraler Bestandteil eines anderen Gesamtwerks und in dieses eingebettet waren. Dementsprechend muss der Senat aus Anlass des vorliegenden Rechtsstreits sich nicht mit der Besonderheit der Schutzfähigkeit derartiger Werbetexte befassen. Auch der Umstand, dass sich die Textzeile "alles ist gut so lange du wild bist" zu einer Art "Schlachtruf" entwickelt hat, ändert hieran nichts. Denn entscheidend ist allein der Schöpfungsakt durch den Kläger und die von ihm gewählte Schöpfungsumgebung.
2. Der Senat geht mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung allerdings ohne weiteres davon aus, dass auch ein Textteil - unabhängig von dem Gesamtwerk, in den er eingebettet ist - urheberrechtliche Schutzfähigkeit als Sprachwerk erlangen kann. Der Senat hat hierzu in der Entscheidung "Markentechnik" (Senat GRUR-RR 2004, 285, 286 - Markentechnik) u.a. ausgeführt:
a. [...]Es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass die Schutzfähigkeit eines Werkteils voraussetzt, dass sich dieser selbst als persönliche geistige Schöpfung darstellt (BGH GRUR 1990, 218, 219 - Verschenktexte; BGH GRUR 1989, 416 - Bauaußenkante; BGH GRUR 1988, 533, 534 - Vorentwurf II). Dabei braucht sich die besondere Eigenart des Werkes als Ganzes in diesem Teil nicht zu offenbaren (BGH GRUR 61, 631, 633 - Fernsprechbuch). Diese zutreffende Rechtsprechung - von der abzuweichen der Senat aus den noch auszuführenden Gründen keine Veranlassung hat - wird auch von der Literatur geteilt. Schricker-Loewenheim, UrhG, 2. Aufl., § 2 Rz. 66 füh-
ren hierzu etwa aus: "Voraussetzung für den Schutz ist, dass der entlehnte Teil auch für sich genommen den Schutzvoraussetzungen des § 2 genügt, also eine persönliche geistige Schöpfung darstellt." Weiter heißt es unter Rz. 67: "Allerdings wird bei sehr kleinen Teilen wie einzelnen Wörtern, Sätzen oder Satzteilen Urheberrechtsschutz meist daran scheitern, dass sie nicht ausreichenden Raum für die Entwicklung von Individualität bieten". Dieses Problems ist sich offensichtlich auch der Kläger bewusst, der - allerdings vergeblich - versucht, im Rahmen der Schutzfähigkeit insoweit seine "Gedankenführung und Formung einer Verknüpfung und Systematisierung der drei Bereiche "Markentechnik", "Soziologie" und "Naturwissenschaft" in den Vordergrund zu stellen. Nach seinem Verständnis finden diese in den Werkteilen im Klageantrag zu 1. auf der rechten Seite Ausdruck. Mit diesem unzutreffenden Ansatzpunkt hat sich bereits das LG auseinander gesetzt und ihm zu Recht eine Absage erteilt. Denn eine solche Gedankenführung kann - wie die von einem Dichter ersonnene Fabel (vgl. Schricker-Loewenheim, UrhG, 2. Aufl., § 2 Rz. 57) bzw. die Handlung eines Romans - wiederum allenfalls in ihrer erkennbaren Ausdrucksform einer zusammenhängenden Darstellung, nicht jedoch in allen ihren einzelnen Satzteilen Urheberrechtsschutz beanspruchen - es sei denn, diesen kommt ihrerseits Werkcharakter zu."
3. Diesen Anforderungen wird der Textteil "alles ist gut so lange du wild bist"...