Verfahrensgang
AG Hamburg-Altona (Entscheidung vom 15.12.2021; Aktenzeichen 329 OWi 69/21) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 15.12.2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hamburg-Altona zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat den Betroffenen am 15.12.2021 wegen fahr-lässiger Nichtbeachtung eines Wechsellichtzeichens zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und ein Fahrverbot mit einer Dauer von einem Monat verhängt.
Das Amtsgericht hat insoweit im Wesentlichen die folgenden Feststellungen getroffen:
Der Betroffene befuhr am 03.04.2021 gegen 19.35 Uhr mit seinem von ihm geführten Fahrzeug die Ebertallee. Die sich an der Kreuzung Ebertallee / Osdorfer Weg befindende Lichtzeichenanlage wechselte auf Rotlicht, als der Betroffene mit seinem Fahrzeug noch "zwischen 20 und 50 m von der Haltelinie entfernt" war. In diesem Moment "beschleunigte" der Betroffene sein Fahrzeug und fuhr - nachdem die Lichtzeichenanlage bereits "mehr als eine Sekunde Rotlicht" gezeigt hatte - über die Haltelinie, bevor er links in den Osdorfer Weg bog. Zur selben Zeit befuhren die Polizeibeamten ... und ... mit ihrem Streifenwagen die Ebertallee ebenfalls in Fahrtrichtung Osdorfer Weg mit einer "Geschwindigkeit von ca. 50 km/h, um zu einem Einsatz zu fahren". Der Abstand zu dem vor ihnen fahrenden Fahrzeug des Betroffenen blieb dabei unverändert. Der Streifenwagen befand sich noch vor einem - rund 20 bis 30 m vor der Kreuzung Ebertallee / Osdorfer Weg gelegenen - Bereich, in dem sich die bis dahin einspurige Ebertallee in drei Fahrspuren auffächert, als der Betroffene links in den Osdorfer Weg bog.
Die Feststellungen zum Sachverhalt hat das Amtsgericht auf die Angaben des Betroffenen gestützt, soweit es diesen gefolgt ist, im Wesentlichen jedoch auf die Angaben der beiden den Vorgang beobachtenden Polizeibeamten.
Das Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes hat das Amtsgericht dabei im Wege einer Weg-Zeit-Berechnung ermittelt. Insoweit hat es ausgeführt, dass sich unter Berücksichtigung eines Abstands zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und der Haltelinie im Zeitpunkt des Wechsels der Lichtzeichenanlage auf Rotlicht "von lediglich" 20 Metern sowie einer "von den Zeugen bekundeten Geschwindigkeit von 50 km/h" aufgrund einer Weg-Zeit-Berechnung ergäbe, dass die "Lichtzeichenanlage mindestens 1,44 Sekunden Rotlicht" zeigte, als der Betroffene die Haltelinie überquerte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie tenoriert beantragt.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Hamburg-Altona. Die Beweiswürdigung hält auch eingedenk eines eingeschränkten Prüfungsmaßstabes sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind und sich der Begründungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, so kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes gelten als im Strafverfahren. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 71 Rn. 42 f.).
Die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes kann grundsätzlich auf die Schätzung von Zeugen, insbesondere von Polizeibeamten gestützt werden (vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2020, 18938). Jedoch müssen derartige Schätzungen wegen der ihnen innewohnenden möglichen Fehlerquellen durch das Hinzutreten weiterer, im tatrichterlichen Bußgeldurteil anzugebender Umstände erhärtet und hinsichtlich ihrer Grundlage sowie ihres Beweiswertes vom Tatrichter einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Insbesondere, wenn die Feststellungen zum Zeitablauf nicht auf einer technischen Messung mittels eines geeichten Messgerätes beruhen, sind wegen der damit verbundenen Fehlerquellen klare und erschöpfende Fest-stellungen zum Zeitablauf sowie zur Entfernung des Fahrzeugs zum Einmündungsbereich, zur Lichtzeichenanlage und zu einer ggf. vorhandenen Haltelinie zu treffen (vgl. OLG Hamm NZV 2008, 309, 310). Insoweit is...