Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarif-Stress
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung der Frage, ob die Dringlichkeitsvermutung auf Grund des eigenen vorprozessualen und prozessualen Verhaltens des Antragstellers als widerlegt anzusehen ist, bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände des Einzelfalls. In diese sind auch solche Verzögerungsumstände mit einzubeziehen, die für sich genommen nicht notwendigerweise dringlichkeitsschädlich gewesen wären. Eine isolierte Betrachtung einzelner Verfahrensabschnitte ohne Rücksicht auf vorangegangenes und nachfolgendes - zeitverzögerndes - Verhalten verfehlt die dem § 12 Abs. 2 UWG zugrunde liegende gesetzliche Intention.
2. Sind in einem früheren Verfahrensstadium bereits Verzögerungen eingetreten, die sich als potentiell dringlichkeitsschädlich erweisen, so hat der Antragstellerin in aller Regel besondere Veranlassung darauf hinzuwirken, dass im Verlauf des Weiteren Verfahrens keine zusätzlichen Verzögerungen eintreten. Diese Obliegenheit beeinflusst auch die Art und Weise der von dem Antragsteller zu verlangenden Maßnahmen, um nach Kräften ein verzögerungsfreies Handeln solcher Einrichtungen zu fördern bzw. nach Möglichkeit sicherzustellen, auf deren Arbeitsabläufe er in der Regel keinen bestimmenden Einfluss hat und deren Nachlässigkeit als solche ihm nicht entgegen gehalten werden kann.
Normenkette
UWG § 12 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 12.03.2004; Aktenzeichen 416 O 112/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 16.7.2004 abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des LG Hamburg vom 12.3.2004 wird zu den Ziff. 1.a (aa. + bb.) und 1.b. (i.d.F. der Antragstellung in der Kammersitzung vom 2.7.2004) unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufgehoben.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens sowie des erstinstanzlichen Widerspruchsverfahrens. Die Kosten des Erlassverfahrens tragen die Parteien jeweils zur Hälfte.
Gründe
I. Die Parteien sind Wettbewerber im Angebot von Dienstleistungen als Internet-Service-Provider, u.a. im Bereich Webhosting sowie bei DSL-Zugängen.
Im Herbst 2003 bewarb die Antragsgegnerin ihr Produkt "skyDSL" mit der auf S. 4 der Antragsschrift eingeblendeten Werbeanzeige u.a. in der Zeitschrift PC-direkt. Dieses Verhalten beanstandet die Antragstellerin insb. im Hinblick auf die darin enthaltenen Versprechen zu Zeitdauer ("bis zu 150 freie Surfzeit pro Monat inklusive") und Preisangabe ("ab 9,90 EUR") als wettbewerbswidrig.
Das LG Hamburg hat der Antragsgegnerin mit einstweiliger Verfügung vom 12.3.2003 unter Androhung der üblichen Ordnungsmittel verboten,
1. im geschäftlichen Verkehr das Produkt skyDSL wörtlich oder sinngemäß mit den Aussagen
a) "bis zu 150 Stunden freie Surfzeit pro Monat inklusive"
b) "durchgehend online ohne Tarif-Stress!"
c) "Datenempfang unlimited"
d) "1 EUR pro ca. 10 Stunden Surfzeit"
zu bewerben;
2. im geschäftlichen Verkehr ggü. Letztverbrauchern, das Produkt "skyDSL" mit Preissenkungen zu bewerben, ohne im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang den tatsächlich anfallenden Endpreis anzugeben, insb. wenn dies durch Verwendung der Aussage
"Hardwarepreis jetzt bis zu 50 EUR gesenkt"
geschieht;
3. im geschäftlichen Verkehr das Produkt "skyDSL" wörtlich oder sinngemäß mit der Aussage:
"Upstream (bei ISDN und Kanalbündelung): Gleiche Geschwindigkeit möglich wie bei Telefondraht-DSL"
zu bewerben.
Gegen diese einstweilige Verfügung hat die Antragsgegnerin zu (nur) Ziff. 1.a., 1.b. und 2. Widerspruch erhoben.
Die Antragstellerin hat bei Schluss der ersten Instanz zu den noch streitgegenständlichen Anträgen zum Teil in Abänderung ihres ursprünglichen Verfügungsantrags beantragt, die Antragsgegnerin zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollziehen an dem Geschäftsführer, zu unterlassen,
1. im geschäftlichen Verkehr das Produkt skyDSL wörtlich oder sinngemäß mit den Aussagen zu bewerben
a) "bis zu 150 Stunden freie Surfzeit pro Monat inklusive"
aa) ohne darauf hinzuweisen, dass es sich um eine fiktive Zeitangabe handelt, die vom jeweiligen Nutzungsverhalten der Internetnutzer abhängig ist und die angegebene Zeit nicht der tatsächlichen Online-Verbindungszeit entspricht;
bb) im Zusammenhang mit einer Ab-Preisangabe zu werben, so lange das Leistungsmerkmal nicht zu dem angegebenen Ab-Preis erhältlich ist.
b) "durchgehend online ohne Tarif-Stress!"
2. im geschäftlichen Verkehr ggü. Letztverbrauchern, das Produkt "skyDSL" mit Preissenkungen zu bewerben, ohne im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang den tatsächlich anfallenden Endpreis anzugeben, insb. wenn dies durch Verwendung der Aussage
"Hardwarepreis jetzt bis zu 50 EUR gesenkt"
geschieht;
Das LG hat mit Urt. v. 12.7.2004 die einstweilige Verfügung zu Ziff. 2 unter Abweisung des zugrunde liegenden Antrags aufgehoben u...