Leitsatz (amtlich)
1. Bei den Pflichtangaben zu den Rubriken "Stoff- oder Indikationsgruppe" und "Anwendungsgebiete" in der Packungsbeilage eines Arzneimittels (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 6 AMG) erkennt der verständige Durchschnittsverbraucher, dass die entsprechenden Überschriften der Gebrauchsinformation inhaltlich verschiedene Sachverhalte betreffen und dass die Rubrik "Indikationsgruppe" einen weiteren Begriff als speziell die "Anwendungsgebiete" eines Arzneimittels erfasst bzw. erfassen kann.
Die Packungsbeilage eines Arzneimittels ist demgemäß nicht irreführend, wenn unter "Anwendungsgebiete" angegeben ist: "bei Abnutzungserkrankungen des Kniegelenks" und bei "Stoff- oder Indikationsgruppe" der Hinweis steht: "zur Behandlung der Arthrose". Der Referenzverbraucher nimmt in der Gebrauchsinformation nicht etwa nur den (allgemeineren) Gruppenhinweis wahr, sondern erkennt zugleich das spezielle Anwendungsgebiet.
Ein verallgemeinerter Unterlassungsantrag, der in so einem Fall isoliert die Angabe: "Stoff- oder Indikationsgruppe: U. ist ein Präparat zur Behandlung der Arthrose" zum Verbotsgegenstand macht, erfasst nicht die konkrete Verletzungsform.
2. Soll die Verwendung einer Dosieranleitung verboten werden, wobei diese im Verbot nur inhaltlich umschrieben, aber keine konkreten Angaben aufgeführt werden, so erfasst der Antrag auch Formulierungen, die den Eindruck des umschriebenen Inhalts erwecken. Ein solcher Unterlassungsantrag ist unzulässig, wenn in ihm die zu verbietenden Angaben, die diesen Eindruck erwecken, nicht genannt werden.
Normenkette
AMG §§ 8, 11; UWG § 5; ZPO § 253
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 05.12.2003; Aktenzeichen 416 O 190/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 5.12.2003 abgeändert.
Die Klage mit den in der Berufungsverhandlung gestellten Haupt- und Hilfsanträgen wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren auf 100.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin vertreibt Nahrungsergänzungsmittel, diätetische Lebensmittel und Medizinprodukte. Die Beklagte vertreibt Arzneimittel und Medizinprodukte, sie steht mit der Klägerin im Wettbewerb. Die Beklagte vertreibt das Arzneimittel "U. 200-S", dem eine Gebrauchsinformation (Anlage B 10) mit Angaben, die die Klägerin als unlauter beanstandet, beigefügt ist. Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin die Beklagte deswegen auf Unterlassung in Anspruch.
Das Arzneimittel "U. 200-S" mit dem Wirkstoff D-Glucosaminsulfat ist ein sog. Alt-Arzneimittel mit fiktiver Zulassung (§§ 105 ff. AMG). In der Aufbereitungsmonographie für D-Glucosamin (Bundesanzeiger 1992, 4517: Anlage B 1) heißt es zu den "Klinischen Angaben" u.a.:
"1. Anwendungsgebiete
Orale Applikationsform:
Zur Minderung von Schmerz und Verbesserung der Funktion bei leichter bis mittelschwerer Gonarthrose.
Ausreichende Belege zur klinischen Wirksamkeit bei Arthrose weiterer synovialer Gelenke der Extremitäten liegen nicht vor.
...
7. Dosierung und Art der Anwendung
Orale Applikation:
Erwachsene: 3 × 250 mg Glucosaminsulfat täglich ...".
In der vorliegend beanstandeten Gebrauchsinformation (Packungsbeilage) des Arzneimittels "U. 200-S" (im Original mit Faltung: Anlage B 10, vgl. Anlage K 1) heißt es u.a.:
"U. 200-S
Wirkstoff: D-Glucosaminsulfat
Zusammensetzung
1 Dragee enthält als arzneilich wirksamen Bestandteil 250 mg D-Glucosaminsulfat ...
Darreichungsform und Inhalt
...
Stoff- oder Indikationsgruppe
U. 200-S ist ein Präparat zur Behandlung der Arthrose.
Pharmazeutischer Unternehmer und Hersteller
...
Anwendungsgebiete
Zur Funktionsverbesserung und Schmerzlinderung bei leichten bis mittelschweren Abnutzungserkrankungen des Kniegelenks (Gonarthrose).
....
Wieviel U. 200-S und wie oft sollten Sie U. 200-S einnehmen?
Erwachsene nehmen 3mal täglich 1-2 Dragees.
...
Dieses Arzneimittel ist nach den gesetzlichen Übergangsvorschriften im Verkehr. Die behördliche Prüfung auf pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist noch nicht abgeschlossen."
In dem Rechtsstreit umgekehrten Rubrums ("Kölner-Vorprozess") ist die Klägerin durch das LG Köln mit Urt. v. 25.7.2003 zur Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht verurteilt worden, der Klägerin ist verboten worden,
die Präparate Glucosaminsulfat 250 mg und Glucosaminsulfat 500 mg mit dem Wirkstoff Glucosaminsulfat und einer Dosierungsempfehlung von 3 × 250 mg und 2 × 500 mg Glucosaminsulfat in Deutschland anzubieten, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben, solange für diese Produkte keine Zulass...