Leitsatz (amtlich)
1. Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit eines ergonomischen Sitzmöbels als Werk der angewandten Kunst.
2. Ein im Ausland erlangter, zwischenzeitlich aber abgelaufener Geschmacksmusterschutz steht der Geltendmachung von Urheberrechten im Inland nicht entgegen.
Normenkette
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4; UrhG § Abs. 2
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 308 O 31/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 8, vom 14.4.2000 abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des LG Hamburg vom 21.1.2000 (308 O 31/00) wird erneut erlassen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
und beschlossen:
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 500.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien stellen Sitzmöbel her und vertreiben diese (Anlagen ASt1 bis ASt3). Die Antragstellerin ist ein in Norwegen ansässiges Unternehmen, das seine Produkte weltweit vertreibt, in Deutschland über die St. GmbH.
Die Antragstellerin vertreibt seit dem Jahr 1985 in Deutschland – sowie auch in anderen Ländern – unter der Bezeichnung „Move” einen Stuhl, der aufgrund seiner Konstruktion und Gestaltung ein körpergerechtes, die Wirbelsäule entlastendes Sitzen ermöglichen soll. Der Stuhl besteht aus einer Sitzfläche ohne Lehnen in der Art eines großen, bequemen Fahrradsattels, der auf einem mit Gasdruck höhenverstellbaren Teleskoprohr sitzt. Die Grundfläche des Stuhls besteht aus einem schweren, runden, nach Art eines flachen Tellers gewölbten Fuß mit einem Durchmesser von ca. 40 cm, der in hellem Holz gehalten ist (im Original in Anlage ASt5).
Das Sitzmöbel ist so konstruiert, dass sich der Nutzer beim Sitzen mit dem Stuhl in alle möglichen Richtungen bewegen und kippen kann, ohne dabei umzufallen. Von diesem Möbelstück zu einem Preis von ca. 300 DM setzt die Antragstellerin allein in Deutschland ca. 7.500 Exemplare jährlich um (e.V. C K in Anlage ASt7).
Beide Parteien – die Antragstellerin vertreten durch die St. GmbH – waren auf der „Internationalen Möbelmesse 2000” – die in der Zeit vom 17. bis 22.1.2000 in Köln stattfand – in unmittelbarer Nähe zueinander mit Ausstellungsständen vertreten (Anlage ASt4). Bei dieser Gelegenheit stellte die Antragsgegnerin auf ihrem Messestand zwei Sitzmöbel aus, die ähnlich wie der Stuhl „Move” gestaltet sind. Im Hinblick hierauf übergab ein Mitarbeiter der Antragstellerin dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin am 19.1.2000 ein Abmahnschreiben (Anlage ASt8), mit dem die Antragsgegnerin – erfolglos – aufgefordert wurde, die beanstandeten Sitzmöbel von ihrem Stand zu entfernen und deren Vertrieb einzustellen.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin am 21.1.200 bei dem LG Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag, es der Antragsgegnerin bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 500.000 DM, Ordnungshaft, zu vollziehen am Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Antragsgegnerin, höchstens 2 Jahre) zu verbieten,Sitzmöbel herzustellen, anzubieten, zu bewerben, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen, die in der Anlage zu diesem Titel abgebildet und mit den Artikel-Nummern 32 und 151 gekennzeichnet sind, die am selben Tag antragsgemäß erlassen wurde (Bl. 14f d.A.). Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin hat die erlassene Verfügung verteidigt und hierzu vorgetragen, durch Herstellung und Vertrieb der im Verfügungsantrag genannten Sitzmöbel verletzte die Antragsgegnerin ihre Urheberrechte an dem Stuhl „Move”. Bei den von der Antragsgegnerin auf der Internationalen Möbelmesse angebotenen beiden Stühlen handele es sich – mit Ausnahme einer geringfügigen Abweichung bei der Gestaltung des Sattels – praktisch um identische Nachbildungen ihres Produkts.
Sie habe die ausschließlichen Nutzungsrechte an dem Stuhl „Move” u.a. für Deutschland von dem Werkschöpfer übertragen erhalten und sei berechtigt, gegen Urheberrechtsverletzungen in Deutschland vorzugehen. Der Stuhl „Move” sei von dem Architekten Pø entwickelt und gestaltet worden. Dieser habe ihr mit Lizenzvertrag vom 30.11.1984 exklusiv sämtliche Rechte an der Konstruktion und Gestaltung des Stuhls übertragen (e.V. R St. in Anlage ASt6).
Der Stuhl „Move” genieße urheberrechtlichen Schutz, und zwar als Werk der bildenden Kunst, zumindest aber als Werk der angewandten Kunst. Die Schutzfähigkeit solcher nicht-alltäglicher Möbel sei in der Rechtsprechung seit langem anerkannt. Bei Gebrauchsmöbeln komme es dafür nicht auf das Verhältnis des künstlerischen zum Gebrauchszweck an. Entscheidend sei vielmehr allein, ob der den Formensinn ansprechende Gehalt des Gegenstandes ausreiche, um nach den im Leben herrschenden Anschauungen von Kunst sprechen zu können. Diese Voraussetzungen seien hier gege...