Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Unterlassungsanspruch in erster Instanz nur auf einen Verstoß gegen § 11 Abs. 2 HWG und erst in zweiter Instanz auch auf § 3 HWG (Irreführung), so ist insoweit die Dringlichkeitsvermutung (§ 12 Abs. 2 UWG) wegen der unnötig verstrichenen Zeit widerlegt.
2. Die Werbeangabe "Nichts hilft schneller" für eine Lippenherpes-Creme verstößt als Spitzengruppenwerbung nicht gegen § 11 Abs. 2 HWG, es wird nicht nahe gelegt, dass das so beworbene Arzneimittel einem anderen entspricht oder überlegen ist. Das "andere Mittel" wird nicht genannt und ist auch nicht indirekt individualisierbar.
3. (a) Wird in der Publikumswerbung für eine Lippenherpes-Creme diese Erkrankung am Mund nur dezent abgebildet, so ist eine solche Werbung nicht unlauter i.S.d. § 3, § 4 Nr. 11 UWG, obwohl sie (formal) gegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. a HWG und damit gegen § 4 Nr. 11 UWG verstößt. Der Vorwurf der Unlauterkeit (§ 3 UWG) kann nicht bestehen, weil die Werbung die Grenzen des Art. 90 Buchstabe k RL 2001/83/EG beachtet und diese Richtlinie seit vielen Jahren in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Gemäß Art. 90 Buchstabe k (1. Alternative) RL 2001/83/EG sind in der Arzneimittel-Publikumswerbung nur missbräuchliche, abstoßende oder irreführende Bilddarstellungen von Krankheiten untersagt.
(b) Entsprechendes gilt für die Arzneimittel-Publikumswerbung mit der bildlichen Darstellung der Erkrankung vor und nach der Anwendung des Mittels (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. b HWG), soweit in der Werbung Art. 90 Buchstabe k (2. Alternative) RL 2001/83/EG beachtet wird, weil diese nicht missbräuchlich, abstoßend oder irreführend ist.
Normenkette
RL 2001/83/EG Art. 90 Buchst. k; HWG § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. a, § 11 lit. b, § 11 Abs. 2; UWG §§ 3, 4 Nr. 11, § 12 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 24.07.2007; Aktenzeichen 312 O 34/07) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 12, vom 24.7.2007 abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des LG Hamburg, Zivilkammer 12, vom 19.1.2007 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen
und beschlossen:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren auf 400.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien sind Pharmaunternehmen und stehen miteinander im Wettbewerb.
Die Antragsgegnerin produziert und vertreibt das Arzneimittel "Vooo Lippenherpescreme" und "Vooo Cremespender" (vgl. die Fachinformationen: Anlagenkonvolut AS 1). Hierfür hat sie in der Publikumswerbung mit einem TV-Spot geworben (vgl. die Anlage CD-ROM mit dem TV-Spot als MPEG-Datei; vgl. das Storyboard Anlage AS 3).
Die Antragstellerin beanstandet die Werbung als mehrfach gegen HWG-Vorschriften verstoßend und damit als unlauter. Sie nimmt die Antragsgegnerin im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch.
In dem TV-Spot der Antragsgegnerin zu Vooo Lippenherpescreme und Vooo Cremespender (CD-ROM: Anlage zur Antragsschrift S. 4; vgl. Anlage AS 3) ist folgendes zu sehen und zu hören:
Eine Frau, die auf einem roten Sofa in Form eines Mundes sitzt, spricht zum Zuschauer: "Lippenherpes?! Ich hasse wie er sich anfühlt! Und wie er aussieht". Danach, bei den Worten "Ich will ihn weghaben. Und das schnell", wird die Frau in Nahaufnahme zunächst mit und dann ohne Lippenherpes dargestellt: Sie hält sich ein Polaroidfoto vor den Mund, auf dem ihr Mund mit Lippenherpes zu sehen ist. Sie zieht dann das Foto von ihrem Mund weg, der Mund ist herpesfrei, auf dem Foto in ihrer Hand sieht man den Mund noch mit Lippenherpes.
Nach der Einblendung der Packung und der Tube "Vooo Lippenherpescreme" und dem gesprochenen Slogan "Nichts hilft schneller" sieht man in Nahaufnahme nochmals einen Mundbereich mit Lippenherpes, darüber sind eine stilisierte Stoppuhr mit einer Vooo-Tube als Zeiger sowie die Worte "Wirkt sofort." eingeblendet. Der Sprecher aus dem Off sagt: "Es wirkt sofort". Der Stoppuhr-Zeiger dreht sich und erreicht die "6"; dabei verschwinden die eingeblendeten Worte "Wirkt sofort." allmählich, der Mund lächelt und nunmehr wird der Text: "Kann die Heilungszeit halbieren" eingeblendet. Dazu der Sprecher: "Und kann die Heilungszeit bis zur Hälfte reduzieren".
In der nachfolgenden Einstellung sieht man die Frau wieder auf dem Sofa sitzen, sie lächelt ohne Lippenherpes und sagt: "Damit ich mich wieder wohlfühle. Und zwar schnell."
Die nächste Einstellung zeigt die Packung und Tube "Vooo Lippenherpescreme" sowie einen "Vooo Cremespender", darunter den Claim: "Nichts hilft schneller" und dazu hört man: "Nichts hilft schneller. Vooo". Der Spot endet mit dem Pflichttext: "Zu Risiken und Nebenwirkungen ..."
Die Antragstellerin bringt das konkurrierende Medizinprodukt "C. Herpesbläschen-Patch" auf den Markt.
Das LG hat antragsgemäß mit seiner Beschlussverfügung vom 19.1.2007 der Antragsgegnerin unter Androhung von bestimmten Ordnungsmitteln verbot...