Leitsatz (amtlich)
1. Zur rechtsmissbräuchlichen vorprozessualen Anspruchsverfolgung konzernverbundener Unternehmen bei der Vertretung durch denselben Rechtsanwalt (im Anschluss an: BGH WRP 2002, 320 ff. – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung).
2. Für die Frage, ob „vernünftige Gründe” eine getrennte Anspruchsverfolgung rechtfertigen können, ist es auch von Bedeutung, ob konzernverbundene Unternehmen auf der Aktiv- oder der Passivseite des Rechtsstreits stehen.
3. Schützenswertes Vertrauen auf eine bestimmte rechtliche Beurteilung wettbewerblichen bzw. (vor)prozessualen Verhaltens kann im Bereich ausfüllungsbedürftiger Generalklauseln des Wettbewerbsrechts jedenfalls dann nicht entstehen, wenn die konkrete Rechtsfrage bislang noch nicht (ausdrücklich) Gegenstand obergerichtlicher Beurteilung war.
Normenkette
UWG § 13 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 407 O 46/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 7 für Handelssachen, vom 7.5.2002 – unter Zurückweisung der Berufung i.Ü. – abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie seit dem 30.11.2001 im geschäftlichen Verkehr zu Werbezwecken mit der Behauptung „wir verkaufen ausschließlich deutsche Ware” geworben hat, soweit nicht sämtliche angebotenen und verkauften Produkte in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt wurden.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziff. 1 geschilderte Wettbewerbshandlung seit dem 30.11.2001 entstanden ist und noch entsteht.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz tragen die Klägerinnen 4/5, die Beklagte trägt 1/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 6.000 Euro (Klägerinnen) bzw. 15.000 Euro (Beklagte) abwenden, sofern nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen: Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 125.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien sind Wettbewerber im Handel mit Elektro- und Elektronikartikeln. Die Beklagte bietet ihre Waren über das Internet an. Auf ihrer homepage befand sich am 30.11.2001 unter der Rubrik „faq” (frequently asked questions) folgender Texthinweis (Anlagen JS1):
„Wie lange ist die Garantiezeit der von E. angebotenen Geräte auf die von uns angebotenen Geräte gibt es die normale Herstellergarantie (meistens 1 Jahr). Wir verkaufen ausschließlich deutsche Ware.”
Dieses Verhalten beanstanden die Klägerinnen unter Hinweis darauf, dass die überwiegende Mehrzahl der von der Beklagten angebotenen Geräte im Ausland gefertigt werden, als wettbewerbswidrig. Die Klägerinnen haben – beide vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten – die Beklagte mit gleichlautenden Schreiben vom 30.11.2001 zeitgleich erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert (Anlage JS2).
Das LG hat die Unterlassungs- und Auskunftsklage sowie das Begehren der Klägerinnen auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei im Hinblick auf die Mehrfachabmahnung wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung bereits unzulässig erhoben worden. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Antragsgegnerin.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen i.Ü. wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet, soweit sich die Klägerinnen gegen die Abweisung ihres Unterlassungsantrages wenden. Insoweit hat das LG dem Klagebegehren zu Recht wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung den Erfolg versagt. Ihr Berufungsvorbringen rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Hingegen wenden sich die Klägerinnen erfolgreich dagegen, dass das LG auch die Folgeansprüche unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgewiesen hat. Insoweit ist ihre Berufung begründet.
Das Berufungsvorbringen der Parteien gibt dem Senat Anlass zu folgenden ergänzenden Anmerkungen:
1. Die geltend gemachte Unterlassungsklage ist gem. § 13 Abs. 5 UWG unzulässig und deshalb mit Prozessurteil zurückzuweisen. Denn die Anspruchsverfolgung stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar.
a) Der BGH hat in jüngster Zeit mehrfach die Gelegenheit ergriffen, die Voraussetzungen der rechtsmissbräuchlichen Anspruchsverfolgung i.S.v. § 13 Abs. 5 UWG darzustellen und ihren Anwendungsbereich zu konkretisieren. Unbeschadet der in früheren Entscheidungen („Missbräuchliche Mehrfachverfolgung” (BGH WRP 2000, 1269), „Neu in Bielefeld I und II” (BGH WRP 2000, 1266 ff.), „Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung” (BGH WRP 2002, 980) usw.) aufgestellten Rechtsgrundsätze, ist für die Entscheidung des vorliegenden Fall einschlägig die Entscheidung „Missbräuchliche Mehrfachabmahnung” (BGH WRP 2002, 320 ff.), in der der BGH insb. die Kriterien für eine rechtmäßige vorproz...