Leitsatz (amtlich)

1. Die inhaltlich uneingeschränkte, unter Bezugnahme auf eine Studie erfolgende werbliche Behauptung, ein Arzneimittel (Proteaseinhibitor zur Behandlung von HIV), das international erforscht und vertrieben wird, sei gegenüber einem Referenzpräparat wissenschaftlich erwiesenermaßen überlegen wirksam, ist nach dem Verständnis der angesprochenen Ärzte nicht auf einen regional begrenzten, "europäischen", sondern vielmehr einen universellen Stand der Wissenschaft bezogen.

2. Studienergebnisse, die in Anwendung einer von der EMA akzeptierten Analysemethode (TLOV) statistisch signifikant zum Nachweis der Überlegenheit des Arzneimittels gegenüber einem Referenzpräparat führen, sind wissenschaftlich umstritten, wenn die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA bei Anwendung der von ihr akzeptierten Analysemethode (Snapshot) das Überlegenheitsergebnis der Studie als nicht statistisch signifikant nachgewiesen ansieht. In einem solchen Fall hat der Antragsgegner die Richtigkeit der Behauptung darzulegen und glaubhaft zu machen.

3. Die von der EMA gebilligte aktualisierte Fassung der Fachinformation berechtigt nicht zu einer werblichen Überlegenheitsbehauptung, wenn die EMA die Studie, die die Überlegenheit gezeigt haben soll, in der Fachinformation nur unter dem Aspekt der Bestätigung der Nicht-Unterlegenheit des Mittels gewürdigt hat.

 

Normenkette

UWG §§ 3, 4 Nr. 11, §§ 5, 8, 12 Abs. 2; HWG § 3; VO (EG) 726/2004 Art. 16 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 16.12.2010; Aktenzeichen 327 O 474/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 27, vom 16.12.2010 abgeändert. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) weiter verboten,

als geschäftliche Handlung das Arzneimittel P.® (Wirkstoff: Darunavir) zu bewerben und/oder bewerben zu lassen unter Hinweis auf die ARTEMIS-Studie mit der Aussage,

P. zeige eine überlegene Wirkung gegenüber Lopinavir® bzw. LPV/r nach 96 Wochen, wie in der der einstweiligen Verfügung des LG Hamburg, Az. 327 O 474/10, vom 23.7.2010 beigefügten Anlage AS 1-D (Seite 2, Überschrift Tabelle) und dem ebenfalls der vorgenannten einstweiligen Verfügung beigefügten Werbefolder "Unser Favorit von Anfang an" (Anlage AS 1-E, Seite 2, Überschrift obere Tabelle).

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Gründe

I. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt für Arzneimittel zur Behandlung von AIDS/HIV (Acquired Immun Deficiency Syndrom/Humanes Immundefizienzvirus) mittels geboosterter HIV-Proteaseinhibitoren. Das Produkt der Antragstellerin K.® mit den Wirkstoffen Lopinavir und Ritonavir war das erste dieser Art von Präparaten und ist in den USA seit 2000 und in Europa seit 2001 zugelassen; dieses Präparat ist auch das einzige Kombinationspräparat mit Ritonavir. Das von der Antragsgegnerin vertriebene Produkt P.® ist seit 2006 in den USA und seit 2007 in der EU zugelassen.

Die Antragstellerin beanstandet in der Berufungsinstanz die Werbung der Antragsgegnerin für ihr Produkt P. nur noch insofern, als in den Werbeunterlagen gem. Anlagen AS 1-D und AS 1-E die aus dem Antrag zu 1. c) ersichtliche Überlegenheitsbehauptung enthalten ist. Eine vorprozessuale Abmahnung ist ohne Erfolg geblieben.

Proteaseinhibitoren hemmen die Produktion von Virusbausteinen und unterbrechen so den Virus-Replikations-Zyklus, so dass die Virenlast beim Patienten abnimmt und auf niedrigem Niveau stabilisiert werden kann. Hierdurch reduziert sich die Gefahr eines Immundefekts, der zu ggf. tödlichen Erkrankungen führt, die AIDS ausmachen. Von geboosterten (von englisch to booster, ankurbeln, steigern, verstärken) Proteaseinhibitoren spricht man, wenn diese mit einer geringen Menge eines anderen Proteaseinhibitors namens Ritonavir (RTV oder r) gegeben werden, der den Abbau des anderen Proteaseinhibitors in der Leber verzögert, so dass die Wirksubstanz länger und in höherer Konzentration im Körper verbleibt. Der für die Ermittlung der Wirkung einer Proteaseinhibitor-Therapie relevante Parameter ist die sog. Viren-Last, also die Anzahl der im Blut des Patienten nachweisbaren HI-Viren. Bis ca. Anfang 2000 galt als Therapieziel der Proteaseinhibitor-Therapie die seinerzeitige Nachweisgrenze einer Viren-Last von weniger als 400 Kopien pro Milliliter Blutplasma (≪400c/mL). Seit 2002 wird ein Therapieerfolg angenommen, wenn eine Viren-Last von weniger als 50 Kopien pro Milliliter Blutplasma (≪50c/mL) erreicht wird (derzeitige Nachweisgrenze molekularbiologischer Testverfahren).

Als Zulassungsstudien für P. dienten die von der Muttergesellschaft der Antragsgegnerin unterstützten Studien TITAN und ARTEMIS. Beide Studien sind kontrolli...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?