Leitsatz (amtlich)

Das von einem Apotheker vorgenommene Abfüllen von Fertigspritzen aus einem unter Verwendung biotechnologischer Verfahren hergestellten, gem. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004 zentral zugelassenen Präparat unterliegt als "Herstellung" eines Arzneimittels im Sinne der VO 726/2004 ebenfalls dem Erfordernis zentraler Zulassung. Die im nationalen Recht (hier: § 21 Abs. 2 AMG) vorgesehenen Einschränkungen der Zulassungspflicht für Rezepturarzneimittel sind auf ein solches Arzneimittel wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar.

 

Normenkette

UWG §§ 3, 4 Nr. 11, § 8; AMG § 4 Abs. 1, § 21 Abs. 2; VO (EG) 726/2004 Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 9, 16; RL 2001/83/EG Art. 1, 3; VO (EG) 2309/93 Art. 3

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 16.12.2008; Aktenzeichen 416 O 48/08)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 16.12.2008 - 416 O 48/08, abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

1. Fertigspritzen in den Verkehr zu bringen, die mit 0,05 ml des Arzneimittels L. (Wirkstoff: Ranibizumab) befüllt sind und als solche weder arzneimittelrechtlich zugelassen sind noch in Ausführung einer individuellen ärztlichen Verschreibung oder Bestellung im Einzelfall für einen bestimmten Patienten aus einer nur für diese Verschreibung oder Bestellung verwendeten Original-Durchstechflasche des Arzneimittels L. befüllt werden;

und/oder

2. die in Ziff. 1 genannten Fertigspritzen anzubieten und/oder anbieten zu lassen, insbesondere wenn dies wie aus Anlage 1 zu diesem Urteil ersichtlich geschieht;

und/oder

3. die in Ziff. 1 genannten Fertigspritzen zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, insbesondere wenn dies wie aus Anlage 1 und/oder Anlage 2 zu diesem Urteil ersichtlich geschieht.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung hinsichtlich des Urteilstenors zu I.1 bis I. 3 durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. jeweils 500.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen darf der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin, welche u.a. das Arzneimittel L. (Wirkstoff: Ranibizumab) vertreibt, wendet sich im vorliegenden Hauptsacheverfahren gegen die Herstellung und den Vertrieb von L. enthaltenden Fertigspritzen durch den Beklagten, der unter der Firma "B." eine bundesweit tätige öffentliche Apotheke betreibt.

L. wird zur Behandlung der feuchten altersbedingten Maculadegeneration eingesetzt, einer die Sehfähigkeit stark beeinträchtigenden Netzhauterkrankung, bei der es zum Wachstum krankhaft veränderter Blutgefäße im Bereich der Macula - derjenigen Stelle der Netzhaut, mit der der Mensch am schärfsten sehen kann - kommt, aus denen Blut und Flüssigkeit austreten und das umliegende Netzhautgewebe sowie die Sehzellen schädigen. Dieses Wachstum wird begünstigt durch den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), ein körpereigenes Eiweißmolekül, welches von Ranibizumab - einem sog. VEGF-Hemmer - gebunden wird. Hierdurch wird nicht nur der Degenerationsprozess gestoppt, sondern auch die bereits eingetretene Einschränkung der Sehkraft wieder gebessert. L. wird intravitreal, d.h. in das Auge, injiziert (Anlage K 1/K 23). Ranibizumab ist das Fragment eines humanisierten monoklonalen Antikörpers, das mit Hilfe rekombinanter DNA-Technologie in Escherichia coli hergestellt wurde (Fachinformation Anlage K 1, Ziff. 2.).

Die Klägerin vertrieb L. zunächst in Durchstechflaschen mit je 0,3 ml des Arzneimittels, deren Apothekenabgabepreis EUR 1.523 betrug. Mittlerweile hat die Klägerin den Inhalt der Flaschen auf je 0,23 ml des Arzneimittels reduziert (Anlage B 16). Die empfohlene Dosierung beträgt 0,05 ml L. (Anlage K 1, dort Ziff. 4.2, dritter Absatz). Die Anwendung erfolgt, indem der gesamte Inhalt der Durchstechflasche mittels einer Filterkanüle auf eine 1-ml- Spritze zu ziehen ist; vor der Injektion ist die Filterkanüle durch eine sterile Injektionskanüle auszutauschen und der überschüssige Inhalt bis zur 0,05-ml-Markierung zu verwerfen (Anlage K 1, dort Ziff. 4.2, achter Absatz). Die Durchstechflasche darf nur einmal verwendet werden (Anlage K 1, dort Ziff. 4.2, erster und achter Absatz, Ziff. 6.2, erster Absatz).

Der Beklagte füllt in sein...

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