Leitsatz (amtlich)

1. Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG setzt voraus, dass eine Lieferung an den zur Zahlung aufgeforderten Verbraucher erfolgt ist. Dazu muss der Verbraucher in die Lage versetzt worden sein, auf die Ware oder Dienstleistung tatsächlich zuzugreifen.

2. Es besteht kein Wertungswiderspruch zwischen dem Tatbestand von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG einerseits und dem Irreführungstatbestand gemäß § 5 Abs. 1 UWG andererseits, wenn ein Unternehmer einem Verbraucher eine unberechtigte Zahlungsaufforderung zukommen lässt. Beide Normen sind daher nebeneinander anwendbar.

 

Normenkette

UWG § 3 Abs. 3 Anhang Nr. 29, § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 29.11.2018; Aktenzeichen 416 HKO 122/18)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 20.10.2021; Aktenzeichen I ZR 17/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29.11.2018, Az. 416 HKO 122/18, wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungshaft insgesamt nicht mehr als zwei Jahre), diese zu vollstrecken an den Geschäftsführern, zu unterlassen,

gegenüber einem Verbraucher in einem Forderungsschreiben zugunsten eines Auftraggebers der Beklagten zu behaupten, der Verbraucher sei aufgrund des Abschlusses eines Mobilfunkvertrages unter Zuweisung einer bestimmten Mobilfunknummer zur Zahlung einer Vergütung ("Hauptforderung" nebst "Inkassovergütung") verpflichtet, wenn in Wahrheit das im Inkassoschreiben genannte Mobilfunkverhältnis zwischen dem Auftraggeber der Beklagten und dem Verbraucher gar nicht existiert,

wie geschehen in dem Forderungsschreiben nach Anlage K3 in Bezug auf den angeblich am 01.11.2017 geschlossenen Mobilfunkvertrag zur Telefonnummer +...[...].

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gemäß Ziffer 1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 33.000 EUR und diejenige nach Ziffer 2. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe (Ziffer 2.) bzw. in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags (Ziffer 2.) leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit der Zusendung einer Zahlungsaufforderung an eine Verbraucherin.

Der Kläger ist ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG i.V.m. § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband.

Die Beklagte ist ein Inkassounternehmen. Sie verschickte im Auftrag der T. Germany GmbH & Co. KG (im Folgenden auch: T.) an die Zeugin Z. die als Anlage K3 vorgelegte Zahlungsaufforderung über einen Betrag von 635,07 EUR. Als Grund der Forderung ist dort angegeben: "Mobilfunkvertrag vom 01.11.2017 (Telnr. ...[...])".

Die Parteien streiten darüber, ob dieses Verhalten unlauter war und im Zusammenhang damit darüber, ob die Zeugin Z. mit der Auftraggeberin der Beklagten einen Vertrag über die Zurverfügungstellung von Telekommunikationsdienstleistungen geschlossen hat.

Der der Zahlungsaufforderung zugrunde liegende Vertrag wurde unter Verwendung des Namens der Zeugin Z. und einer früheren Anschrift der Zeugin in Berlin mit der T. geschlossen. Nachdem zwei von der Beklagten versandte Zahlungsaufforderungen an die bei Vertragsschluss genannte Berliner Anschrift als unzustellbar zurückgekommen waren, ermittelte die Beklagte die neue Anschrift der Zeugin und versandte das Schreiben gemäß Anlage K3. Die Zeugin reagierte darauf nicht. Gegen den sodann beantragten Mahnbescheid legte sie Widerspruch ein; zudem beschwerte sie sich beim Kläger über das Verhalten der Beklagten. Der Kläger nahm die Beklagte vorgerichtlich mit der als Anlage K4 eingereichten Abmahnung ohne Erfolg auf Unterlassung in Anspruch.

Der Kläger hat behauptet, die Zeugin Z. habe den Vertrag mit der T. nicht geschlossen. Das Unternehmen sei der Zeugin nicht bekannt. Das Verhalten der Beklagten sei daher als eine per se verbotene Aufforderung zur Bezahlung nicht erbrachter Dienstleistungen im Sinne von Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG unlauter. Es liege zudem eine unlautere Irreführung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG vor, und außerdem handele es sich um eine unzumutbare Belästigung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG. Auf ein Verschulden der Beklagten komme es nicht an.

Der Kläger hat die Beklagte vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung in Anspruch genommen und beantragt:

I. Der Beklagten wird untersagt, gegenüber einem Verbraucher in einem Forderungsschreiben zugunsten eines Auftraggebers der Beklagten zu behaupten, der Verbraucher sei aufgrund des Abschlusses eine...

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