Entscheidungsstichwort (Thema)
Austausch Beweismittel. Darstellungsanforderungen Beweiswürdigung. Doppelverwertungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1) Die beantragte Verlesung eines Vernehmungsprotokolls kann regelmäßig nicht durch die Vernehmung der Verhörperson ersetzt werden.
2) Zu den Darstellungsanforderungen und zur Inhaltsanalyse der Aussage eines einzigen Belastungszeugen in der Beweiswürdigung.
3) Die strafschärfende Würdigung, dass der Angeklagte sein Ziel, sexuelle Befriedigung zu erlangen, nachhaltig verfolgt hat, verstößt bei einer Straftat nach §§ 177 Abs. 1, 5 Nr. 1 und Abs. 6 Nr. 1 StGB gegen das Doppelverwertungsbot (§ 46 Abs. 3 StGB).
Normenkette
StPO §§ 244, 261; StGB § 46 Abs. 3, § 177 Abs. 5-6
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 33 Ns 79/19) |
AG Essen (Entscheidung vom 06.05.2019) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten am 06.05.2019 wegen Vergewaltigung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben Verteidigung und Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.
In der Berufungshauptverhandlung hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger insbesondere beantragt, einen näher bezeichneten Ausschnitt des Vernehmungsprotokolls der Nebenklägerin aus dem Ermittlungsverfahren sowie Teile des erstinstanzlichen Hauptverhandlungsprotokolls verlesen zu lassen, welche ebenfalls die Vernehmung der Nebenklägerin betreffen. Durch Gerichtsbeschluss hat das Landgericht die beantragte Beweiserhebung abgelehnt. Zum einen sei der Beweisantrag auf eine unzulässige Beweiserhebung gerichtet, da die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO mangels Einverständnis der Staatsanwaltschaft nicht vorliegen würden. Zum anderen seien die Aussagen der Nebenklägerin in den betreffenden Vernehmungen durch die Vernehmung der Vernehmungsbeamtin sowie der erstinstanzlichen Richterin eingeführt worden. In diesem Zuge seien konkrete Vorhaltungen aus den jeweils protokollierten Aussagen gemacht worden.
Mit Urteil vom 02.04.2020 hat das Landgericht das angefochtene Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird. Zugleich hat es die Berufung des Angeklagten verworfen.
Gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil hat dieser durch seinen Verteidiger mit dem am 03.04.2020 per Telefax beim Landgericht Essen eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Das Urteil ist dem Verteidiger am 25.05.2020 zugestellt worden. Mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.06.2020, eingegangen beim Landgericht Essen am 25.06.2020, hat der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Insbesondere beanstandet er im Wege der Verfahrensrüge die unterlassene Verlesung der Vernehmungsprotokolle, die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung und die Verletzung des Doppelverwertungsverbots (§ 46 Abs. 3 StPO).
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Revision hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil kann bereits wegen der unzulässigen Ablehnung der beantragten Verlesung der Vernehmungsprotokolle keinen Bestand haben. Ferner hat aber auch die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler ergeben, welche zur Aufhebung des Urteils führen.
1)
Der Angeklagte dringt mit der vorbezeichneten Verfahrensrüge durch.
a)
Diese genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist damit zulässig erhoben.
Bei den Anträgen auf Verlesung der näher bezeichneten Ausschnitte aus den Vernehmungsprotokollen (Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung) handelt es sich um förmliche Beweisanträge, da diese eine konkretes Beweismittel - Urkundsverlesung - für ein konnexes Beweisthema - Inhalt der Niederschrift - benennen. Der behauptete Verfahrensverstoß ist daher entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht im Wege der Aufklärungsrüge geltend zu machen. Es handelt sich gerade nicht um die fehlende Ausschöpfung eines Beweismittels (zum insoweit erforderlichen Rügevorbringen s. Krehl, in: Karlsruher Kommentar, 8. Aufl. 2019, § 244 StPO Rn. 221). Gerügt wird vielmehr, dass das Beweismittel durch das Gericht überhaupt nicht genutzt wurde. Hinreichend für die Zulässigkeit der Verfahrensrüge ist daher die Darlegung des Beweisantrags und des ablehnenden Gerichtsbeschlusses sowie aller Tatsachen, welche den Gerichtsbeschluss als fehlerhaft erscheinen lassen (Wiedn...