Leitsatz (amtlich)
Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge tritt die einfache Betriebsgefahr eines PKW hinter einem für den Unfall ursächlichen Vorfahrtsverstoß des verunfallten Fahrradfahrers vollständig zurück.
Normenkette
BGB § 254; StVG §§ 7, 9, 18; StVO § 8
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 08 O 213/15) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss zurückzuweisen, da sie nach einstimmiger Ansicht im Senat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und eine Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht der Fortbildung des Rechts oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung dient.
Der Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen gegeben.
Gründe
I. Zwischen den Parteien steht ein Unfallereignis vom 18.04.2015 in Streit, das sich gegen 19:25 Uhr im T-Kreuzungsbereich auf der L-Straße in E ereignete.
An dem Unfall waren das im Eigentum des Klägers stehende Fahrzeug, VW Golf, amtliches Kennzeichen ..., welches bei der Drittwiderbeklagten zu 2) haftpflichtversichert war und welches im Unfallzeitpunkt von der Drittwiderbeklagten zu 1) gesteuert wurde, sowie die Beklagte mit ihrem Fahrrad beteiligt.
Der Unfall ereignete sich im Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang der Beklagten, als diese nach links in die L-Straße abbog. Die Beklagte wurde hierbei von dem aus ihrer Sicht von rechts kommenden Fahrzeug des Klägers erfasst.
Bei der L-Straße handelt es sich um einen verzweigten Wirtschaftsweg, der zwischen Feldern verläuft. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 100 km/h. Die Fahrbahnbreite der L-Straße liegt zwischen 1,98 m und 2,42 m.
Die Sichtverhältnisse zwischen den Unfallbeteiligten waren im T-Kreuzungsbereich aufgrund von Sträuchern und Bäumen eingeschränkt. Im Kreuzungsbereich gilt mangels abweichender Beschilderung die allgemeine Vorfahrtsregel rechts-vor-links.
Durch das Unfallereignis wurde die Beklagte erheblich verletzt. An dem Fahrzeug des Klägers entstand ein Sachschaden.
Der Kläger und die Beklagte haben wechselseitig Ansprüche aus dem Unfallereignis vom 18.04.2015 geltend gemacht.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhaltes einschließlich der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens bis auf einen geringen Teil der vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben und die (Dritt-)Widerklage der Beklagten vollumfänglich mit der Begründung abgewiesen, dass die Beklagte den Unfall verschuldet habe, indem sie die Vorfahrt des klägerischen Fahrzeugs missachtet habe.
Ohne Bedeutung sei, ob der Unfall für die Drittwiderbeklagte unabwendbar gewesen sei, da § 17 Abs. 3 StVG nur bei der Beteiligung mehrerer Kraftfahrzeuge an einem Unfall Anwendung finde. Die einfache Betriebsgefahr trete jedoch hinter dem gravierenden Verschulden der Beklagten, welches in dem Vorfahrtsverstoß liege, zurück. Eigene Verkehrsverstöße der Drittwiderbeklagten zu 1) seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festzustellen gewesen.
Die unfallanalytische Begutachtung habe ergeben, dass sich die Kollision in zeitlich engem Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang der Beklagten ereignet habe.
Gegen die Abweisung der (Dritt-)Widerklage wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung und führt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags zur Begründung aus, dass ihr zwar ein schuldhafter Verstoß gegen § 8 StVO anzulasten sei, dieser jedoch nicht als gravierendes Verschulden oder grobes Alleinverschulden einzustufen sei. Das Landgericht habe es fehlerhaft unterlassen, die Unfallbeteiligten zum Unfallhergang anzuhören. Zwar habe sie selbst verletzungsbedingt keine Erinnerung mehr an das Unfallgeschehen. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass sie vor dem Einfahren in die T-Kreuzung zunächst angehalten und sich vergewissert habe, dass kein Fahrzeug von rechts komme. Sofern sie die Drittwiderbeklagte zu 1) hierbei übersehen habe, handele es sich um eine schlichte Unachtsamkeit, hinter der die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs nicht zurücktrete.
Das Landgericht habe sich bei seinem Urteil allein auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt. Dieser habe für sein Gutachten jedoch lediglich eine zu erwartende Geschwindigkeit des Fahrrades von 10 bis 15 km/h zugrunde gelegt. Die Möglichkeit, dass sie zunächst angehalten und sodann wieder losgefahren sei, habe der Sachverständige nicht in seinem Gutachten berücksichtigt.
Darüber hinaus sei der Drittwiderbeklagten zu 1) entgegen den Ausführungen des Landgerichts ein unfallursächlicher Verkehrsverstoß vorzuwerfen, indem sie bei den im Unfallzeitpunkt herrschenden Sichtverhältnissen aufgrund der tiefstehenden Sonne und des Pflanzenbewuchses sowie der Fahrbahnbreite der L-Straße unangemessen schnell ge...