Leitsatz (amtlich)
1) Ein mehrseitiger Erbvertrag kann nicht durch Vertrag des Erblassers mit einem der letztwillig Bedachten aufgehoben werden.
2) Der gebotenen Umdeutung einer solchen Vereinbarung in einen Zuwendungsverzichtsvertrag mit dem Bedachten steht bei einem mehrseitigen Erbvertrag § 2352 S. 2 BGB nicht entgegen (im Anschluss an BayObLGZ 1965, 188).
Normenkette
BGB §§ 2290, 2352 S. 2
Verfahrensgang
AG Soest (Aktenzeichen 6 VI 525/09) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Die Tatsachen, die zur Erteilung des vom Beteiligten zu 1) am 26.8.2010 beantragten Erbscheins erforderlich sind, werden festgestellt.
Eine Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Auslagen ist nicht veranlasst.
Gründe
I. Der Erblasser schloss am 6.9.1957 mit seiner ersten Ehefrau, Frau I2 geborene Holtmann, einen "Ehe- und Erbvertrag" (Urkunde Nr. 782/1957 des Notars C2 in C), in dem es heißt:
§ 1.
Für unsere Ehe vereinbaren wir hiermit die allgemeine Gütergemeinschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches in der bis zum 31.3.1953 geltenden Fassung.
§ 2.
Indem die Fortsetzung der Gütergemeinschaft mit unseren Kindern ausgeschlossen sein soll, setzen wir uns gegenseitig zu Erben ein dergestalt, dass der Letztlebende Erbe des Verstorbenen sein soll.
§ 3.
Nach dem Tode des Letztlebenden soll unser Vermögen unseren gemeinschaftlichen Kindern zufallen, dergestalt jedoch, dass der Letztlebende befugt ist, die Art und Weise, wie das Vermögen auf unsere Kinder sich verteilen und übergehen soll, unter Lebenden und von Todeswegen zu bestimmen. Insbesondere ist der Letztlebende befugt, durch Testament oder Übertragsvertrag einem unserer Kinder das Vermögen zuzuwenden und die Abfindungsleistungen für die übrigen Kinder festzusetzen ..."
Die Beteiligten sind die aus der ersten Ehe des Erblassers hervorgegangenen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3) waren im Zeitpunkt der Errichtung des Ehe- und Erbvertrages bereits geboren.
Die erste Ehefrau des Erblassers verstarb im Jahr 1963.
Am 3.9.1984 schloss der Erblasser mit seinen Kindern und seiner zweiten Ehefrau, Frau I geborene K, einen notariellen "Erb- und Abfindungsvertrag" (Urkunde-Nr. 230/84 des Notars T in B). In § 1 dieses Vertrages setzte er die Beteiligte zu 2) zu seiner alleinigen Erbin ein, die Beteiligte zu 2) nahm in § 8 die Erbeinsetzung zu den im Vertrag genannten Auflagen und Bedingungen an. Die Beteiligte zu 2) verpflichtete sich
- in § 2, ihrer Stiefmutter, der zweiten Ehefrau des Erblassers, in dem zum Nachlass gehörenden Haus I-Weg in B ein lebenslängliches Wohnrecht einzuräumen,
- in § 4, bei Eintritt des Erbfalls den Hausrat der Stiefmutter bzw. ihren Geschwistern zu überlassen,
- in § 5, bei Eintritt des Erbfalls das Geld und evtl. Wertpapiere nur unter ihre Geschwister aufzuteilen, so dass diesen mindestens 10.000 DM zukommen, ggf. sollte sie verpflichtet sein, das Gesamtguthaben aus eigenen Mitteln aufzustocken, damit die Geschwister mindestens 10.000 DM erhalten.
§ 7 lautet:
"Die Erschienenen zu 4) bis 7) [das sind die Beteiligten zu 1), 3), 4) und 5)] erklären sich durch die vorgenannten Vermächtnisse und sonstigen Zuwendungen als vom beiderseitigen elterlichen Vermögen für restlos abgefunden und verzichten auf etwaige Mehransprüche.
Der vorgenannte Verzicht wird von den übrigen Erschienenen hiermit angenommen."
Am 21./28.1.1992 schlossen der Erblasser, vertreten aufgrund notariell beurkundeter Vollmachtserklärung vom 15.1.1992 (Urkunde Nr. 30/1992) durch den Bürovorsteher B2 des Notars T3 in B und die Beteiligte zu 1), 3), 4), 5) in getrennten Urkunden eine Vereinbarung (Urkunde Nr. 47, 72, 73 und 74/1992), in dem sich der Erblasser jeweils verpflichtete, an die genannten Beteiligten "zur Abgeltung der Erb- und Pflichtteilsansprüche, insbesondere zur Abgeltung der nach der Urkunde vom 3.9.1984 genannten Beträge, einen einmaligen Betrag von 10.000,- DM (in Worten:...) zu zahlen. Die Beteiligten zu 1), 3) bis 5) erklärten jeweils, dass "mit der Zahlung des Betrages von 10.000,- DM sämtliche Ansprüche aus der Urkunde vom 3.9.1984 (Urkunde-Nr. 230/84 des Notars T in B) abgegolten sind. Er/Sie verzichtet hiermit ausdrücklich auf die Geltendmachung weitergehender Ansprüche." Diese Verzichtserklärungen nahm der Bürovorsteher B2 namens des Erblassers an.
In notarieller Verhandlung vom 6.2.1992 (Urkunde Nr. 102/1992 des Notars T3 in B) übertrug der Erblasser der Beteiligten zu 2) die Eigentumswohnung Nr. 2 in der Anlage I-Weg in B. In § 9 dieses Vertrages hoben der Erblasser, seine zweite Ehefrau und die Beteiligte zu 2) den Erbvertrag vom 3.9.1984 einvernehmlich auf; gleichzeitig verpflichtete sich der Erblasser, die Beteiligte zu 2) von der Zahlung der Abfindungsbeträge und Vermächtnisse freizustellen.
Am 20.2.1992 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament (Urkunde Nr. 136/1992 des Notars T3 in B), in dem er die Beteiligte zu 5) zu seiner Alleinerbin und deren Sohn B2 zum Ersatzerben einsetzte.
Am 9.10.2001 schloss der Erblasser mit den Beteiligten zu 3) bis 5) einen notarielle...