Leitsatz (amtlich)
Zwar kann ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1., 1. Alt. BGB auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum.
Derjenige, der bei der Annahme einer Erbschaft über die Höhe des zu seinen Gunsten greifenden Steuerfreibetrages irrt, befindet sich nicht in einem Irrtum über den Eintritt wesentlich anderer Rechtsfolgen, sondern nur über die Höhe der ihn treffenden Erbschaftssteuer als einer mittelbaren Rechtswirkung. Der Irrtum darüber, dass es steuerlich günstiger gewesen wäre, die Erbschaft nach dem Bruder auszuschlagen, damit diese der gemeinsamen Mutter zufällt, um nach deren künftigen Tod als deren Alleinerbe deutlich höhere Steuerfreibeträge in Anspruch nehmen zu können, stellt als Irrtum über die günstigste steuerliche Gestaltung der Annahme der Erbschaft keinen zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigenden relevanten Rechtsfolgenirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB dar.
Normenkette
BGB §§ 119, 1954 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Arnsberg (Aktenzeichen 11 VI 473/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 20.09.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Arnsberg vom 15.09.2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beteiligten zu 1) auferlegt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 140.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 1) ist der Bruder, die Beteiligte zu 2) die Mutter des ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung zwischen dem 00. und 00.00.2021 verstorbenen Erblassers A.
Auf Antrag des Beteiligten zu 1) vom 21.07.2021 und nach Anhörung der Beteiligten zu 2) erteilte das Amtsgericht - Nachlassgericht - Arnsberg unter dem 04.08.2021 einen Erbschein, nach dem der Erblasser von den Beteiligten je zu 1/2 beerbt worden ist.
Am 17.08.2021 erklärte der Beteiligte zu 1) in notariell beglaubigter Form die Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums gem. §§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 1 BGB mit der Begründung, im Zeitpunkt der Beantragung des Erbscheins sei er von wesentlich anderen Steuerfreibeträgen zu seinen Gunsten bzgl. der Erbschaft nach seinem Bruder ausgegangen. Der Notar reichte die Anfechtungserklärung am Folgetag bei dem Nachlassgericht ein und bat um Benachrichtigung, dass gegen die Beantragung eines neuen Erbscheins durch die Beteiligte zu 2) keine Bedenken bestünden.
Das Nachlassgericht legte dies als Antrag auf Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021 aus, den es mit Beschluss vom 14.09.2021 zurückwies. Zur Begründung ist ausgeführt, bei dem Irrtum über die Höhe der Erbschaftssteuer handele es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, so dass der richtige Erbschein nicht einzuziehen sei.
Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde vom 20.09.2021. Er ist der Ansicht, ein Irrtum über die Rechtsfolgen der Annahme oder Anfechtung der Erbschaft sei ein beachtlicher Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB.
Mit Beschluss vom 24.09.2021 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Nachlassgericht die sinngemäß beantragte Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021 abgelehnt, weil dieser nicht unrichtig im Sinne des § 2361 S. 1 BGB ist.
1. Der Erbschein ist nicht durch die am 17.08.2021 erklärte Anfechtung der Erbschaftsannahme unrichtig geworden, denn ein Grund, der den Beteiligten zu 1) zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigen würde, liegt nicht vor, insbesondere befand sich der Beteiligte zu 1) am 21.07.2021 nicht in einem relevanten Rechtsfolgenirrtum.
Zwar kann ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1., 1. Alt. BGB auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt nach ständiger Rechtsprechung jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, U...