Leitsatz (amtlich)

1) Haben Ehegatten in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament im Anschluss an die gegenseitige Einsetzung zu Alleinerben bestimmt

"Für den Fall, dass wir gleichzeitig versterben sollten, soll unser Nachlass fallen an unsere gemeinsame Nichte ..."

so setzt die Andeutungstheorie der richterlichen Auslegung des Testaments im Hinblick auf die Möglichkeit, dass diese Erbeinsetzung auch für den Fall des in zeitlich größerem Abstand aufeinanderfolgenden Versterbens der Ehegatten gewollt ist, keine Grenze.

2) Das Gericht muss deshalb in Ermittlungen von Umständen eintreten, die für eine solche Auslegung maßgebend sein können.

 

Normenkette

BGB § 2084; FGG § 12

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Beschluss vom 30.06.2010; Aktenzeichen 6 T 176/10)

AG Brilon (Aktenzeichen 7 VI 140/09)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beteiligten, an das LG zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 100.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.) Die Beteiligten zu 2) bis 11) sind die gesetzlichen Erben der Erblasserin, die Beteiligte zu 1) ist die Tochter der Beteiligten zu 11). Die Erblasserin und ihr Ehemann haben am 19.2.1982 in notarieller Form ein gemeinschaftliches Testament errichtet. In diesem haben sie sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Ziff. 2 der notariellen Urkunde lautet wie folgt:

"Für den Fall, dass wir gleichzeitig versterben sollten, soll unser Nachlass fallen an unsere beiderseitige Nichte T H,... Sollte unsere Nichte hiernach zur Erbfolge gelangen, so soll die Verwaltung dieses von Todes wegen erworbenen Vermögens bis Erlangung der Volljährigkeit allein ihrer Mutter,..., obliegen ..."

Der Ehemann der Erblasserin ist im Juli 2007 verstorben. Zu diesem Zeitpunkt war die Erblasserin nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1) und 11) bereits nicht mehr testierfähig. Die Beteiligten streiten darüber, ob Ziff. 2 des gemeinschaftlichen Testaments dahingehend ausgelegt werden kann und muss, dass die Beteiligte zu 1) nicht allein für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute als Schlusserbin eingesetzt sein sollte. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Darstellung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Die Beteiligte zu 1) hat einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweisen soll, die Beteiligte zu 2) einen solchen, der die gesetzliche Erbfolge ausweisen soll. Durch gesonderte Beschlüsse vom 28.12.2009 hat das AG den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen und im Wege des Vorbescheids den Erlass eines Erbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 2) angekündigt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 1) vom 15.01. und 17.3.2010 hat das LG zurückgewiesen, wogegen sie sich mit der weiteren Beschwerde wendet.

II.) Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG statthaft sowie formgerecht eingelegt.

Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) ergibt sich daraus, dass ihre Erstbeschwerden ohne Erfolg geblieben sind.

In der Sache ist die weitere Beschwerde begründet, da die Entscheidung des LG auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 FGG. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist die Kammer zutreffend von zulässigen ersten Beschwerden ausgegangen. In sachlicher Hinsicht hält die Entscheidung der rechtlichen Prüfung hingegen nicht stand.

Die Kammer hat die Zurückweisung des Erbscheinsantrages der Beteiligten zu 1) sowie den Vorbescheid zugunsten der Beteiligten zu 2) damit begründet, dass das gemeinschaftliche Testament vom 19.2.1982 keine Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1) enthalte, so dass nach der Erblasserin die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Die Einsetzung der Beteiligten zu 1) beziehe sich dem Wortlaut nach allein auf den Fall des gleichzeitigen Ablebens der Eheleute, der jedoch nicht eingetreten sei. Eine Auslegung dahingehend, dass die Schlusserbeneinsetzung auch für den Fall gelten solle, dass ein Ehegatte den anderen um mehrere Jahre überlebe, sei nicht möglich, da sich hierfür in dem Wortlaut des Testaments kein hinreichender Anlass finde.

Dem kann der Senat insoweit nicht folgen, als das LG gemeint hat, dass sich Anhaltspunkte dafür, dass die testierenden Eheleute von einem Wortverständnis ihrer Verfügung ausgegangen sind, das von dem allgemeinen Begriffsverständnis abweicht, aus der Urkunde selbst ergeben müssten. Dabei ist der Kammer zuzugeben, dass die von ihr angeführten Entscheidung des BayObLG (FamRZ 2004, 1235) in diesem Sinne verstanden werden könnte. Der Senat teilt einen derartigen, die allgemeinen Auslegungsregeln einschränkenden Rechtsstandpunkt jedoch nicht.

Auszugehen ist von der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGHZ 86, 41 ff.), dass der Wortlaut einer Verfügung ihrer Auslegung keine absoluten Grenzen setzt. Der Tatrichter muss daher zunäch...

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