Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei Rechtsirrtum; keine Rechtskrafterstreckung der Beurteilung der Mittellosigkeit des Betroffenen auf ein späteres Verfahren gegen die Staatskasse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Rechtsirrtum eines Betreuungsvereins zur Beurteilung der Frage, ob der Einsatz des dem Betroffenen zugeflossenen Schmerzensgeldes eine unbillige Härte i.S.d. § 90 Abs. 3 SGB XII bedeutet, kann nicht als unverschuldet i.S.d. § 22 Abs. 2 S. 1 FGG bewertet werden, wenn der Verein aus diesem Grund die rechtzeitige Anfechtung der Ablehnung einer gegen die Staatskasse gerichteten Vergütungsfestsetzung versäumt hat. Dies gilt auch dann, wenn der Irrtum durch die Stellungnahme des Bezirksrevisors im Festsetzungsverfahren mitverursacht worden ist.

2. Ein Betreuungsverein kann die Festsetzung seiner Vergütung aus dem Vermögen des Betroffenen nicht mit der Begründung anfechten, die Vergütung müsse wegen Mittellosigkeit des Betroffenen gegen die Staatskasse festgesetzt werden.

3. Der beim Vormundschaftsgericht gestellte Antrag auf Festsetzung einer Vergütung aus dem Vermögen des Betroffenen wahrt die Ausschlussfrist des § 2 S. 1 VBVG auch für einen späteren Antrag auf Festsetzung gegen die Staatskasse.

 

Normenkette

FGG § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2 S. 1; VBVG § 2

 

Verfahrensgang

LG Münster (Beschluss vom 24.08.2006; Aktenzeichen 5 T 688/06)

AG Beckum (Aktenzeichen 8 XVII 065 SH)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss des LG wird aufgehoben.

Die sofortigen Erstbeschwerden des Beteiligten zu 2) gegen die Beschlüsse des AG Beckum vom 9.11.2005 und vom 15.12.2005 werden als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I. Für die Betroffene, die infolge eines am 16.2.2000 erlittenen Verkehrsunfalls querschnittsgelähmt ist, war auf ihren Antrag hin zunächst Frau M als Mitarbeiterin des Beteiligten zu 2) durch Beschluss vom 19.5.2005 als Betreuerin bestellt. Durch weiteren Beschluss vom 19.9.2005 wurde der Geschäftsführer des Beteiligten zu 2), Herr G, anstelle von Frau M zum neuen Vereinsbetreuer bestellt.

Aufgrund des Verkehrsunfalls hatte die Betroffene von der I-N Versicherung im Rahmen eines Abfindungsvertrages einen Betrag von insgesamt 510.000 EUR erhalten. Von dieser Summe hat sie einen Betrag von 110.500 EUR in eine fondsgebundene Rentenversicherung eingezahlt, der Rentenbeginn ist im Februar 2015. Im Übrigen ist die Abfindungssumme inzwischen aufgebraucht, insb. durch die Errichtung eines behindertengerechten Hauses und die Anschaffung eines behindertengerechten Pkw.

Am 14.7.2005 hat der Beteiligte zu 2) beantragt, für den Abrechnungszeitraum 1.4.2005 bis 30.6.2005 Vergütung und Aufwendungsersatz i.H.v. insgesamt 417,18 EUR aus der Staatskasse zu erstatten. Er hat insb. geltend gemacht, dass der Rückkaufswert der fondsgebundenen Rentenversicherung - zu diesem Zeitpunkt 46.949,32 EUR - nicht dem einzusetzenden Vermögen der Betroffenen zugerechnet werden könne, da die Rentenversicherung aus der Schmerzensgeldzahlung für den Unfall im Jahr 2000 finanziert worden sei.

Der Beteiligte zu 3) hat beantragt, den Antrag auf Festsetzung gegen die Staatskasse zurückzuweisen, und hat geltend gemacht, die Betroffene sei nicht mittellos. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des BVerwG (Beschl. v. 2.12.2004 - 5 B 108/04, NVwZ 2005, 463) hat er die Auffassung vertreten, im Falle von Schmerzensgeldzahlungen fänden die § 90 Abs. 2 Nr. 8 und Abs. 3 S. 1 SGB XII keine Anwendung, so dass das den gesetzlichen Schonbetrag überschreitende Vermögens für die Betreuervergütung eingesetzt werden müsse.

Mit Beschluss vom 9.11.2005 hat das AG den Antrag vom 14.7.2005 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Beteiligten zu 3) verwiesen. Der Beschluss ist dem Beteiligten zu 2) gegen Empfangsbekenntnis übersandt worden und ihm am 14.11.2005 zugegangen.

In der Folgezeit hat das AG auf Antrag des Beteiligten zu 2) und nach Anhörung der Betroffenen durch Beschluss vom 15.12.2006 für die Abrechnungszeiträume 1.7. bis 19.8.2005 und 20.8. bis 19.11.2005 eine Vergütung i.H.v. insgesamt 1.532,20 EUR und durch Beschluss vom 30.3.2005 eine Vergütung von 792 EUR gegen die Betroffene festgesetzt. Der Beschluss vom 15.12.2006 ist der Betroffenen am 19.12.2005 zugestellt worden. Dem Beteiligten zu 2) ist er lediglich formlos übersandt worden.

Eine Festsetzung der Vergütung für den Zeitraum 1.4. bis 30.6.2005 gegen die Betroffene ist hingegen bisher nicht erfolgt.

Mit Schreiben vom 6.4.2006 hat der Beteiligte zu 2) gegen den Beschluss vom 30.3.2006 sofortige Beschwerde eingelegt und unter Hinweis auf einen Beschluss des VG Münster (v. 7.3.2006 - 5 K 2547/04) geltend gemacht, ein dem Betroffenen zugeflossenes Schmerzensgeld einschließlich der damit erworbenen Vermögenswerte sei nicht zu dem vorrangig einzusetzenden Eigenvermögen zu rechnen. Zugleich hat er beantragt, hinsichtlich der Beschlüsse vom 9.11. und 15.12.2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und in Abänderung dieser Beschlüsse die Vergütung gegen die Staatskasse festzusetzen.

Der...

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