Leitsatz (amtlich)
Eine Regelung, wonach ohne Rücksicht auf Art und Größe der Hunderassen für das gesamte Gemeindegebiet ohne zeitliche Ausnahme ein genereller Leinenzwang besteht, ist unverhältnismäßig und damit, als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, unzulässig.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Betroffene wird auf Kosten der Landeskasse, die auch seine notwendigen Auslagen trägt, freigesprochen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Lünen hat gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 7 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt Lünen in zwei Fällen jeweils eine Geldbuße in Höhe von 100, 00 DM verhängt.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen ging der Betroffene mit seinem Hund am 10. März 2000 gegen 6. 43 Uhr und am 7. April 2000 gegen 7. 13 Uhr in Lünen spazieren, ohne diesen angeleint zu haben.
Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt Lünen über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Lünen vom 1. Oktober 1991 in der Fassung vom 23. November 1998, in Kraft getreten am 1. Januar 1999, dürfen Hunde auf Verkehrsflächen und in Anlagen nur an einer 1 m kurzen Leine und nur von solchen Personen geführt werden, die ausreichend auf sie einwirken können.
Ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen die genannte Vorschrift kann gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 der genannten Ordnungsbehördlichen Verordnung mit einer Geldbuße geahndet werden.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde vom 19. September 2000, deren Zulassung er zugleich beantragt hat. Er macht unter anderem geltend, die fragliche Bestimmung über die Anleinpflicht verstoße gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts geboten. Klärungsbedürftig ist die Frage der Verfassungsgemäßigkeit der fraglichen ordnungsbehördlichen Bestimmung.
Die somit zulässige Rechtsbeschwerde führt zu Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.
Grundsätzlich verstößt ein ordnungsbehördlich geregelter allgemeiner Leinenzwang für Hunde weder gegen das höherrangige bundesrechtliche Tierschutzgesetz noch Verfassungsrecht (vgl. OLG Hamm JMBl NW 1988, 69; OLG Düsseldorf VRS 82, 59).
Eine Regelung, wonach ohne Rücksicht auf Art und Größe der Hunderassen für das gesamte Gemeindegebiet ohne zeitliche Ausnahme ein genereller Leinenzwang besteht, ist jedoch unverhältnismäßig und damit, als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, unzulässig.
Staatliches Handeln genügt, wenn es subjektive Rechte der Bürger beeinträchtigt, nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn es geeignet, erforderlich und im Einzelfall angemessen ist, um den verfolgten öffentlichen Zwecken zum Erfolg zu verhelfen. Zweck und Mittel müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 65, 1 54 ; 76, 1 51 ; 92, 262 273).
Der Leinenzwang dient dem Schutz der Bevölkerung vor Gefahren und Belästigungen, die von frei umherlaufenden Hunden ausgehen. Demgegenüber steht das Recht des Hundehalters auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und das Interesse an artgerechter Tierhaltung. Ersterem ist grundsätzlich, aus Gründen der Gefahrenabwehr, weitgehend Vorrang einzuräumen. Nach Auffassung des Senats ist es jedoch nicht erforderlich und angemessen, aus diesem Grunde den Leinenzwang auf das gesamte Gemeindegebiet zeitlich unbeschränkt auszudehnen.
Die Begriffsbestimmungen in § 1 der fraglichen Verordnung der Stadt Lünen lassen Flächen, auf denen kein Anleinzwang besteht, nicht erkennen. Wie der räumliche, so ist auch der zeitliche Geltungsbereich nicht eingeschränkt. Ebenso wenig wird nach Art und Größe der Hunderassen differenziert. Damit wird dem Interesse und Anspruch (eines Teils) der Bevölkerung, vor Gefahren und Belästigungen durch freilaufende Hunde geschützt zu werden, einseitig Rechnung getragen. Um diesen Zweck zu erreichen, reicht es aber auch aus, wenn kommunale Verordnungen im Zusammenwirken mit der Nordrhein-Westfälischen Landeshundeverordnung einen weitgehenden Leinenzwang anordnen, beschränkte öffentliche Flächen, die als solche kenntlich gemacht sind, davon jedoch, jedenfalls zu bestimmten Zeiten, ausnehmen.
Die (teilweise) fehlende Erforderlichkeit und Angemessenheit der fraglichen Regelung macht diese unwirksam, so dass eine Verurteilung darauf nicht gestützt werden kann.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und der Betroffene mit der Kostenfolge aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO freizusprechen.
III.
Die Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG durch einen Richter, die Entscheidung über die zugelassene Rechtsbeschwerde durch drei Richter ergangen (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl. , § ...