Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 87 Abs. 2 FamFG ist analog auch auf gerichtlich protokollierte Vergleiche anzuwenden.
Normenkette
FamFG § 87 Abs. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 4; ZPO §§ 890-891
Verfahrensgang
AG Siegen (Aktenzeichen 15 F 1734/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Siegen vom 10.05.2023 nebst der Nichtabhilfeentscheidung vom 09.11.2023 aufgehoben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten schlossen am 14.01.2021 in dem Gewaltschutzverfahren 15 F 1734/20 vor dem Amtsgericht Siegen einen unbefristeten Vergleich dahingehend, dass wechselseitige Kontaktaufnahmen über sämtliche Medien zu unterbleiben haben und ein Mindestabstand von 50 Metern zueinander einzuhalten ist. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2021 verkündete das Amtsgericht nach Vergleichsschluss noch den Beschluss, dass die Vereinbarung familiengerichtlich genehmigt wird und drohte für jeden Verstoß gegen die Vereinbarung die Verhängung eines Ordnungsgeldes von bis zu 25.000,- EUR an. Weder das Protokoll noch eine Beschlussausfertigung wurde den Beteiligten zugestellt.
Mit Beschluss vom 10.05.2023 hat das Amtsgericht Siegen auf Antrag der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin wegen Verstoßes gegen die oben bezeichnete Vereinbarung ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,- EUR verhängt und den gegenläufigen Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Antragstellerin habe durch wiederholte Anrufe bei der Antragsgegnerin seit Juli 2022 schon nach eigenem Bekunden gegen die Vereinbarung verstoßen. Ihre Behauptung, ihrerseits von der Antragsgegnerin angerufen worden zu sein, habe die Beweisaufnahme nicht bestätigen können.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, beantragt die Aufhebung des Beschlusses und führt zur Begründung aus, das Amtsgericht habe außer Acht gelassen, dass die Anrufe wechselseitig erfolgt seien. Weiterhin fehle es mangels Vollstreckungstitel an den Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung, insbesondere sei keine sofortige Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung erfolgt. Im Übrigen ergebe sich die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der fehlenden Berücksichtigung der Annahme und des Führens der Telefonate durch die Antragsgegnerin. Auch habe das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass die von ihm für glaubhaft erachtete Zeugin die spontane Äußerung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe sie gerade angerufen, bestätigt habe. Im Übrigen sei er Zwangsvollstreckungsantrag mit untauglichen Beweismitteln gestellt worden.
Die Antragsgegnerin verteidigt die amtsgerichtliche Entscheidung und führt ihrerseits aus, es handele sich bei dem Vergleich um einen Vollstreckungstitel gem. § 86 FamFG, der keiner Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung bedürfe. Auch seien materiell die Voraussetzungen für die Vollstreckung gegeben, da die Antragstellerin die Telefonate selbst eingeräumt habe.
Mit Nichtabhilfebeschluss vom 10.11.2023 hat das Amtsgericht die Sache dem Senat vorgelegt und ergänzend ausgeführt, dass in materieller Hinsicht der Vortrag der Antragstellerin berücksichtigt worden sei, der Beschluss vollstreckungsfähig und auch in zeitlicher Hinsicht aufgrund fortlaufender Anrufe seitens der Antragstellerin die Voraussetzungen für eine Vollstreckungsanordnung gegeben seien. Eine Zustellung sei nicht erforderlich gewesen, da der Vergleich in Anwesenheit beider Beteiligter wirksam geschlossen worden sei.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden gem. §§ 567 ff. ZPO analog (vgl. Sternal/ Giers, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 87 Rn. 15). In der Sache ist sie auch begründet. Dabei kann es dahinstehen, ob materiellrechtlich die Voraussetzungen für den Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses vorgelegen haben. Denn jedenfalls fehlt es an den formalen Voraussetzungen für die Vornahme einer Zwangsvollstreckung.
Die Antragsgegnerin betreibt hier die Vollstreckung aus einem in dem Gewaltschutzverfahren 15 F 1734/20 geschlossenen Vergleich (§§ 86 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Gem. § 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG iVm den §§ 890, 891 ZPO kann der Berechtigte zur Durchsetzung einer im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens eingegangenen Verpflichtung die Festsetzung von Ordnungsmitteln beantragen. Dafür bedurfte der Gewaltschutzvergleich vor seiner Zwangsvollstreckung als allgemeiner Vollstreckungsvoraussetzung (§§ 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, 794 Abs. 1 Nr. 1, 750 ZPO) der förmlichen Zustellung, die vor Beginn der Zwangsvollstreckung oder gleichzeitig mit dieser erfolgen muss (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 21.05.2019, 13 WF 399/19, juris Rn. 4; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.12.2014, 13 WF 298/14, juris Rn. 5; Zöller/ Feskorn, 34. Aufl. 2022, § 87 ...