Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur erweiterten Darlegungspflicht (Alibibeweis) im Wiederaufnahmeverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Im Wiederaufnahmeverfahren genügt nicht stets der bloße schlüssige Vortrag eines Wiederaufnahmegrundes.
2. Betreibt der Verurteilte die Wiederaufnahme mit Entlastungstatsachen und Beweismitteln, mit denen er sich in der Hauptverhandlung nicht verteidigt hat, obgleich ihm diese seinerzeit bekannt gewesen sind, so trifft ihn eine erweiterte Darlegungspflicht. In diesen Fällen hat er - als Folge seiner Verteidigungsstrategie - einleuchtende Gründe dafür anzuführen, warum er die Tatsachen und Beweismittel früher nicht zu seiner Entlastung verwandt hat, dies aber nunmehr im Wiederaufnahmeverfahren mit seinen nach §§ 359 ff. StPO beschränkten Möglichkeiten für geboten hält.
Normenkette
StPO § 359 Nr. 5, § 368
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 1 KLs 13/09) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Verwerfung des Wiederaufnahmeantrags und seine Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers werden aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausgeräumt werden, jeweils auf dessen Kosten (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) verworfen.
Gründe
Im Rahmen der angestellten Wahrscheinlichkeitsprognose ist das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen zu dem Schluss gelangt, dass das erkennende Gericht auch bei Berücksichtigung der nunmehr von dem Verurteilten benannten neuen Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO zu demselben Schuldspruch gelangt wäre. Bei der Würdigung des Wiederaufnahmevorbringens ist die Kammer zu Recht von einer erweiterten Darlegungspflicht des Beschwerdeführers sowie davon ausgegangen, dass die Antragsbegründung diesen erhöhten Darlegungsanforderungen nicht genügt.
Mit Blick auf die im Zulassungsverfahren vorzunehmende Eignungsprüfung genügt im Wiederaufnahmeverfahren nicht stets der bloße schlüssige Vortrag eines Wiederaufnahmegrundes. Vielmehr sind nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung auch die Geeignetheit von Tatsachenvortrag und Beweismitteln darzulegen, wenn dies für die Bewertung erforderlich erscheint und sich ohne dem nicht beurteilen lässt, ob die Beweisgrundlagen des rechtskräftigen Urteils erschüttert werden (zu vgl. BGH, Beschl. v. 7. Juli 1976 in NJW 1977, 59; OLG Köln, Beschl. v. 7. September 1990 in NStZ 1991, 96 f.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 20. März 2003 - 1 Ws 55/03; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. Dezember 1992 - 2 Ws 508/92; KG Berlin, Beschl. v. 8. Dezember 2000 - 4 Ws 228/00; OLG Hamm in NStZ-RR 2000, 85). Widerruft der Verurteilte sein Geständnis im Wiederaufnahmeverfahren oder benennt er einen Zeugen, der ihn in der Hauptverhandlung belastet hat und ihn nunmehr im Gegensatz zu seiner früheren Aussage entlasten soll, so hat er - verfassungsrechtlich unbedenklich (zu vgl. BVerfG, Beschl. v. 30. April 1993 - 2 BvR 525/93) - die Gründe für sein früheres, falsches Geständnis ebenso wie für den Sinneswandel des Zeugen darzulegen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 359, Rn. 46 ff. m.w.N.). Das Wiederaufnahmegesuch muss in diesen Fällen plausibel machen, warum der Verurteilte die Tat in der Hauptverhandlung der Wahrheit zuwider zugegeben hat und weshalb er daran nicht mehr gebunden sein will. Ebenso hat er die Umstände anzugeben, unter denen der Zeuge von seinen früheren Bekundungen abgerückt ist.
Diese erweiterte Darlegungspflicht hat nach Auffassung des Senats indes auch dann zu gelten, wenn der Verurteilte - wie hier - die Wiederaufnahme des Verfahrens mit Entlastungstatsachen und Beweismitteln betreibt, mit denen er sich in der Hauptverhandlung nicht verteidigt hat, obgleich ihm diese bereits seinerzeit bekannt gewesen sind. Zwar ist es - worauf die Verteidigerin des Verurteilten in ihrer Revisionsbegründung vom 4. März 2009 (Seite 6 f., Bl. 3069 f) selbst hingewiesen hat - das Recht eines Angeklagten, in der Hauptverhandlung unwahre Angaben zur Sache zu machen und auf die Benennung ihn entlastender Umstände und Zeugen zu verzichten, weil er nach der Strafprozessordnung seine Verteidigungsstrategie selbst bestimmen darf. Auch nach rechtskräftiger Verurteilung ist er nicht daran gehindert, sich im Wiederaufnahmeverfahren erstmals solcher Entlastungstatsachen und -beweismittel zu bedienen. Jedoch hat er dann - als Folge seiner Verteidigungsstrategie - einleuchtende Gründe dafür anzuführen, warum er die Tatsachen oder Beweismittel früher nicht zu seiner Entlastung verwandt hat, dies aber nunmehr - im Wiederaufnahmeverfahren mit seinen nach §§ 359 ff. StPO beschränkten Möglichkeiten - für geboten hält (zu vgl. BGH, a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.). An den Verurteilten werden dadurch keine unzumutbaren Anforderungen gestellt, kennt er doch den Sachverhalt am genausten. Schließlich will er ein Verfahren wieder aufrollen, das nach einer Beweisaufnahme zu seiner rech...