Leitsatz (amtlich)
›Die Vorschrift des § 568 BGB (Fiktion der Weitergeltung eines beendeten Mietverhältnisses) kann auch in Formularmietverträgen über Wohnraum abbedungen werden.‹
Gründe
I. Dem Rechtsstreit, der zur Vorlage der Sache an den Senat geführt hat, liegt ein Streit der Parteien um die Räumung eines möblierten Einzelzimmers in einem Studentenwohnheim zu Grunde.
Der Kläger, ein Studentenwerk, betreibt ein Studentenwohnheim in ... Die Parteien schlossen am 22.12.1977 einen schriftlichen Mietvertrag in Form eines Formularvertrages, welcher als Beginn des Vertrages des 01.12.1978 und eine Befristung bis zum 31.03.1981 vorsieht. Der Vertrag besagt ferner unter anderem: ›Bei Beendigung des Mietverhältnisses findet die Vorschrift des § 568 BGB keine Anwendung‹. Der Beklagte bewohnt das gemietete Zimmer nach wie vor, nachdem er zunächst allerdings auch nicht zur Räumung aufgefordert wurde. Erstmals mit Schreiben vom 7.10.1981 hat der Kläger dem Beklagten unter anderem mitgeteilt, der Mietvertrag sei abgelaufen, das Mietverhältnis ende zum 30.11.1981, der Beklagte müsse das Zimmer räumen; der Beklagte widersprach alsbald diesem Verlangen.
Räumung und Herausgabe des Studentenzimmers verlangt der Kläger nun auch mit der vorliegenden Klage.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Annahme eines befristeten Mietverhältnisses verneint und dem Kläger ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung nach § 564 b BGB abgesprochen.
Der Kläger verfolgt sein Begehren in der Berufungsinstanz weiter. Es beruft sich unter anderem auf den im Vertragsformular niedergelegten Ausschluß von § 568 BGB.
II. Das Landgericht hat dem Senat gemäß Beschluß vom 7.10.1982 die folgende Rechtsfrage zur Entscheidung im Wege des Rechtsentscheides vorgelegt:
Kann § 568 BGB in Formularmietverträgen über Wohnraum abgedungen werden?
III. Die Vorlage ist gemäß Artikel III Abs. 1 des 3. Mietrechtsänderungsgesetzes zulässig.
IV. Die Vorlagefrist ist wie aus der Beschlußformel ersichtlich, zu bescheiden: § 568 BGB kann in Formularmietverträgen über Wohnraum abgedungen werden.
1. Die dem Senat vorgelegte Rechtsfrage wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Im Wege einer Individualabrede ist § 568 BGB allerdings nach allgemeiner Meinung abdingbar (vgl. BGH ZMR 1966, 241; Staudinger-Emmerich, 12. Auflage, § 568, Rdn. 34). Gegen die Möglichkeit, § 568 BGB auch in Formularverträgen abzubedingen, haben sich unter anderem ausgesprochen: Staudinger-Emmerich, § 568, Rdn. 35; Sonnenschein, NJW 1980, 1713 (1718, 1719); Erman-Schopp, 7. Aufl., § 568, Rdn. 2; Schroers, WM 74, 65 (67). Demgegenüber halten unter anderem eine Abdingbarkeit auch in Formularverträgen für möglich: Münchner Kommentar-Voelskow, § 568, Rdn. 9; Sternel, Mietrecht, 2. Aufl., II, 53; Bub, DWW 1977, 76 (78);
2. Der Ausschluß des § 568 BGB in Formularmietverträgen ist an § 9 AGBG zu messen. Es wird jedoch nicht deutlich, daß ein solcher Ausschluß eine der Vertragsparteien im Sinne der genannten Vorschrift entgegen des Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
2.1. Eine entgegen Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung würde zunächst einmal voraussetzen, daß die beanstandete Klausel für den Vertragspartner des Verwenders - hier den Mieter - Nachteile von einigem Gewicht zur Folge haben kann (vgl. Senat in 4 RE Miet 4/80 = NJW 1981, 1049); diese Voraussetzung ist hier gegeben.
2.2. Gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 ABGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel dann anzunehmen, wenn eine Bestimmung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Damit hat der Gesetzgeber an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zur Leitbildfunktion des dispositiven Rechts angeknüpft, so daß die von der Rechtsprechung hierzu herausgearbeiteten Gesichtspunkte weiterhin maßgebend sind (vgl. Senat 4 RE Miet 4/80 aaO.).
Eine Regelung wie sie mit der Vorlagefrage angesprochen worden ist, weicht nicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab; sie trägt nicht einseitig dem Interesse einer der sich im Mietvertrag gegenüberstehenden Vertragsparteien Rechnung.
§ 568 BGB ist das gesetzgeberische Ergebnis eines praktischen Bedürfnisses, den Fall zu regeln, daß der Mieter nach Ablauf der Mietzeit den Gebrauch der gemieteten Sache mit Wissen des Vermieters fortsetzt; die entsprechenden Vorstellungen im Entwurf zum BGB (vgl. Motive II, 413 f.) wurden, soweit ersichtlich, im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegeben (vgl. Mugdan, II, 866 (Protokolle)) und haben schließlich im noch gültigen Gesetzestext Gestalt gewonnen. Von diesem Ausgangspunkt aus betrachtet, ist es gerechtfertigt anzunehmen, daß § 568 BGB jedenfalls schwergewichtig der Klarheit der Rechtsbeziehung der Parteien, insbesondere der Vermeidung eines vertragslosen Zustandes dient, nicht aber dem Bestandsschutz, mag er aus der Position des Vermieters oder auch des Mieters in Auge gefaßt werden (vgl...