Entscheidungsstichwort (Thema)
bedingte Entlassung. Strafhaft. Prognosemaßstab. Handeltreiben. Betäubungsmittel. ausländerrechtlicher Status
Leitsatz (amtlich)
1. Im Gegensatz zu § 56 Abs. 1 StGB stellt die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffende Prognoseentscheidung nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung weiteren Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen; maßgeblich ist vielmehr, ob die Haftentlassung verantwortet werden kann.
2. Entscheidend für die Prognose nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist eine Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Strafvollzugs für das künftige Leben des Verurteilten in Freiheit einerseits und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits.
3. Je nach der Schwere der Straftaten, die von dem Verurteilten nach Erlangung der Freiheit im Falle eines Bewährungsbruchs zu erwarten sind, sind unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges strafloses Leben zu stellen.
4. Bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge sind die durch einen möglichen Rückfall bedrohten Rechtsgüter - die Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung im Ganzen sowie die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens in einer Weise, die dieses von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen freihält, mit den Aspekten des Jugendschutzes, des Schutzes vor Organisierter Kriminalität und der Gewährleistung der internationalen Zusammenarbeit bei der Suchtstoffkontrolle in besonderem Maße schutzwürdig und von hohem Gewicht; die Anforderungen an die anzustellende Sozialprognose sind deshalb erhöht.
5. Auch wenn es grundsätzlich unzulässig ist, die Ablehnung der bedingten Entlassung allein auf den ungeklärten ausländerrechtlichen Status des Verurteilten zu stützen, ist höchstrichterlich anerkannt, dass die Frage, ob sich ein Ausländer nach der Strafrestaussetzung weiterhin legal im Bundesgebiet aufhalten darf, für die Aussetzungsentscheidung nach § 57 StGB von Bedeutung sein kann; dies gilt hier insbesondere auch deshalb, weil sich der Verurteilte - wie im Übrigen seine gesamte Familie - seinen bisherigen Aufenthaltsstatus unter Vorspiegelung einer falschen Identität sowie einer falschen Nationalität erschlichen hat und sein derzeit ungeklärter ausländerrechtliche Status deswegen - im Gegensatz zu den Fällen, in denen dies ausschließlich eine Folge der ausländerrechtlichen Regelungen darstellt - von ihm zu vertreten ist.
Normenkette
StGB § 57 Abs. 1; BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 03.01.2020; Aktenzeichen 100 StVK 3005/19) |
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.11.2017; Aktenzeichen 31 KLs - 121 Js 8/16 - 16/17) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Vollstreckung des Strafrests aus dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 27. November 2017 (Az.: 31 KLs - 121 Js 8/16 - 16/17) wird nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 27. November 2017, rechtskräftig seit dem 17. Oktober 2018, sprach das Landgericht Duisburg den Verurteilten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig und verhängte gegen ihn eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten. Der Verurteilung lag der Handel mit einem Kilogramm Kokain (mit einem mindestens 30-prozentigem Wirkstoffgehalt, mithin mindestens 300 Gramm Kokainhydrochlorid) im August/September 2016 zugrunde. Das gleichzeitig gegen den Verurteilten geführte Verfahren wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 2 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz hat die Kammer wegen Verfolgungsverjährung eingestellt (UA Seite 76). Dem lag zugrunde, dass der Verurteilte im Juni 2002 in das Bundesgebiet einreiste und hierbei wissentlich der Wahrheit zuwider angab, sein Name sei D, er stamme aus dem Irak und sei am 00.00.1982 in Sinon/Irak geboren.
Der Verurteilte hat sich am 4. März 2019 zur Vollstreckung der o.g. Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne gestellt. Zwei Drittel der Strafe sind nach Anrechnung von 434 Tagen Untersuchungshaft seit dem 6. Dezember 2019 vollstreckt; das Strafzeitende ist auf den 26. November 2020 notiert.
In ihrer Stellungnahme vom 14. August 2019 hat die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne eine vorzeitige Entlassung nicht befürwortet. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat einer bedingten Entlassung mit Verfügung vom 3. September 2019 widersprochen.
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2019 hat die Strafvollstreckungskammer den Sachverständigen A mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt, das dieser unter dem 5. November 2019 erstellt hat.
Mit Beschluss vom 3. Januar 2020 hat die 19. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld die Vollstreckung des Strafrestes aus dem im Tenor genannten Urteil zur Bewährung ausgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe dieser Entscheidung Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die näher begründete sofor...