Entscheidungsstichwort (Thema)
bedingte Entlassung. Strafhaft. Prognosemaßstab. Drogenproblematik
Leitsatz (amtlich)
1. Im Gegensatz zu § 56 Abs. 1 StGB stellt die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffende Prognoseentscheidung nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung weiteren Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Haftentlassung verantwortet werden kann.
2. Entscheidend für die Prognose nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist eine Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des erlittenen Strafvollzugs für das künftige Leben des Verurteilten in Freiheit einerseits und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits. Je nach der Schwere der Straftaten, die von dem Verurteilten nach Erlangung der Freiheit im Falle eines Bewährungsbruchs zu erwarten sind, sind unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges strafloses Leben zu stellen.
3. Die bei Erstverbüßern eine ausreichend günstige Prognose verneinende Rechtsprechung, wenn eine unbehandelte Drogenproblematik besteht, betrifft vor allem Konstellationen, in denen der Inhaftierte selbst mit Drogen gehandelt hat. Beruht die der Vollstreckung zugrunde liegende Bestrafung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln weder auf eigenem Drogenkonsum noch auf eigenem Drogenhandel des Verurteilten, überspannt es die Anforderungen, die Aussetzung des Vollzugs des Strafrests zur Bewährung von einer erfolgreichen Behandlung der Drogenproblematik abhängig zu machen.
Normenkette
StGB § 57 Abs. 1; BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 27.12.2019; Aktenzeichen 100 StVK 3890/19) |
Tenor
- Der Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 27. Dezember 2019 wird aufgehoben.
- Die Vollstreckung des Strafrests aus dem Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 2. Oktober 2018 in Verbindung mit dem Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 8. Dezember 2017 wird nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Verurteilte ist vorläufig bedingt aus der Strafhaft entlassen.
- Die Dauer der Bewährungszeit beträgt drei Jahre.
- Die Verurteilte wird für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines von der Strafvollstreckungskammer noch namentlich zu benennenden Bewährungshelfers oder einer namentlich noch zu benennenden Bewährungshelferin unterstellt.
- Die Verurteilte wird – mit ihrem Einverständnis – angewiesen, unverzüglich eine ambulante medizinische Behandlung für Abhängigkeitskranke bei der r Sucht- und Drogenberatung in C zu beantragen, nach Bewilligung an der Behandlung teilzunehmen und die Teilnahme nicht gegen den Rat der Behandler und ohne Absprache mit ihrem Bewährungshelfer oder ihrer Bewährungshelferin abzubrechen.
- Die Belehrung über die Bedeutung der Aussetzung zur Bewährung wird der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne übertragen.
- Die Landeskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Die Verurteilte wurde mit Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 2. Oktober 2018 in Verbindung mit Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 8 Dezember 2017 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Strafe wird seit dem 2. April 2019 in der JVA Bielefeld-Senne vollstreckt. Die Hälfte der Strafe war am 28. Oktober 2019, zwei Drittel waren am 8. Januar 2020 vollstreckt. Strafende ist auf den 30. Mai 2020 notiert.
Mit Führungsbericht vom 24. Juli 2019 sprach sich die Leiterin der JVA Bielefeld-Senne für eine bedingte Entlassung der Verurteilten aus, die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach widersprach einer bedingten Entlassung nicht. Nach mündlicher Anhörung der Verurteilten lehnte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 24. Oktober 2019 die bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe ab.
Mit weiterem Führungsbericht vom 20. November 2019 hat die Leiterin der JVA Bielefeld-Senne eine bedingte Entlassung der Verurteilten erneut befürwortet. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hat einer bedingten Entlassung mit Verfügung vom 29. November 2019 widersprochen. Die Strafvollstreckungskammer hat die Verurteilte am 18. Dezember 2019 noch einmal mündlich angehört. Mit Beschluss vom 27. Dezember 2019 hat die Strafvollstreckungskammer die bedingte Entlassung der Verurteilten auch nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe abgelehnt und ihre Entscheidung mit den Vorstrafen, dem Bewährungsversagen, der Rückfallgeschwindigkeit und einer therapeutisch nicht bearbeiteten Drogenproblematik begründet.
Hiergegen wendet sich die Verurteilte mit der fristgerecht von ihrem Verteidiger eingelegten sofortigen Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ...