Entscheidungsstichwort (Thema)

Winterwartung auf öffentlichen Gehwegen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Anlieger, denen durch Gemeindesatzung die Winterwartung auf den öffentlichen Gehwegen übertragen worden ist, sind nur in den zeitlichen und inhaltlichen Grenzen verpflichtet, die durch die Satzung bestimmt werden.

2. Kommt ein Gehwegbenutzer infolge von Glätte zu Fall, weil ein Anlieger über mehrere Tage seiner Wartungspflicht nicht nachgekommen ist, so führt das Eigenverschulden des Verletzten, selbst wenn diesem die seit mehreren Tagen bestehende Gefahrenstelle bekannt war, regelmäßig nicht zum vollständigen Haftungsausschluss.

 

Normenkette

BGB §§ 254, 823

 

Verfahrensgang

LG Münster (Beschluss vom 06.10.2006; Aktenzeichen 16 O 428/06)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat jedenfalls vor dem angerufenen LG keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Ein Direktanspruch gegen die Antragsgegnerin zu 2), bei der die Antragsgegnerin zu 1) haftpflichtversichert ist, besteht nicht. Die in § 3 Nr. 1 PflVG getroffene Ausnahmeregelung über den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer gilt nur für die Kfz-Haftpflichtversicherung, nicht aber für die anderen Haftpflichtversicherungszweige (vgl. Thume, VersR 06, 1318 unter II 1).

2. Soweit Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) in Betracht kommen, unterliegen sie jedenfalls einer Kürzung gem. § 254 BGB wegen mitwirkenden Verschuldens der Antragstellerin mit der Folge, dass die landgerichtliche Streitwertgrenze nicht erreicht wird und deshalb eine Erfolgsaussicht für eine Klage vor dem LG mangels Zuständigkeit nicht besteht.

2.1 Die Antragstellerin ist ihrem Sachvortrag zufolge auf dem Kesslerweg in Münster vor dem Betriebsgebäude der Antragsgegnerin zu 1) gestürzt, und zwar in einem Bereich, in welchem die Zufahrt zum Betriebsgelände der Antragsgegnerin zu 1) über den zur öffentlichen Straße gehörenden Gehweg führte. Eine Ersatzpflicht der Antragsgegnerin zu 1) kommt aufgrund der Anliegerhaftung deshalb in Betracht, weil die Stadt Münster in § 2 Abs. 3 ihrer Straßenreinigungssatzung die Winterwartung für die Gehwege auf die Anlieger übertragen hat. Ihre daraus herzuleitende prinzipielle Winterwartungspflicht wird denn von der Antragsgegnerin zu 2) auch nicht in Abrede gestellt.

Für die zeitlichen Grenzen der durch Ortssatzung übertragenen Winterwartungspflicht gilt aber ein strenger Bestimmtheitsgrundsatz (vgl. OLG Schleswig v. 8.5.2003 - 11 U 174/01, NJW-RR 2004, 171). Art und Umfang des Pflichtengefüges sind von vornherein auf ihre Normierung begrenzt (vgl. OLG Hamm v. 30.11.1989 - 27 U 127/89, VersR 1991, 1419). Die Antragsgegnerin zu 1) brauchte zur Erfüllung der auf sie verlagerten Winterwartung keinesfalls mehr zu leisten, als in § 3 Abs. 5 der Straßenreinigungssatzung festgelegt war. Deshalb brauchte in der Nacht entstandene Glätte an Werktagen - um einen solchen handelte es sich bei dem Unfalltag - erst bis 7.30 Uhr beseitigt zu werden. Die im Klageentwurf zitierte Rechtsprechung, wonach sich Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung nach den Umständen des Einzelfalles richtet (BGH v. 1.7.1993 - III ZR 88/92, MDR 1994, 673 = NJW 1993, 2802 und 91, 33), würde für den vorliegenden Fall lediglich die Streu- und Räumpflicht innerhalb ihrer zeitlichen Grenzen konkretisieren, sie aber nicht über diese hinaus ausweiten.

Der Unfall hat sich gegen 6.55 Uhr und damit vor Beginn der am Unfalltag entstandenen Beseitigungspflicht, bezogen auf die in der Nacht entstandene Glätte, ereignet.

2.2 Nach dem unter Beweis gestellten Sachvortrag der Antragstellerin ist sie jedoch auf Glätte gestürzt, die nicht erst in der letzten Nacht entstanden war, sondern schon seit mehreren Tagen unverändert fortbestand, weil die Antragsgegnerin zu 1) jedenfalls an dieser Stelle schon seit mehreren Tagen ihrer Winterwartungspflicht nicht nachgekommen war. Wenn das der Fall war, liegt es allerdings nahe, dass dann die Haftung der Antragsgegnerin zu 2) nicht vollständig gem. § 254 Abs. 1 BGB an einem völlig überwiegenden Eigenverschulden der Antragstellerin scheitert. Zwar muss das Mitverschulden der Antragstellerin bei der Abwägung gem. § 254 BGB deutlich ins Gewicht fallen, wenn ihr seit mehreren Tagen die Glätte an der Stelle bekannt war, an der die Zufahrt den Gehweg kreuzt, und es ist nicht erkennbar, weswegen sie dann der daraus resultierenden Gefahr nicht dadurch begegnet ist, dass sie den Gehweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite benutzt oder auf andere Weise die Gefahrenstelle umgangen hat. Bei der Abwägung kann aber das gesteigerte Verschulden der Antragsgegnerin zu 2), wenn sie sich über mehrere Tage hartnäckig ihrer Winterwartungspflicht entzogen hat, nicht außer Betracht bleiben. Es kann nicht angehen, dass ein Anlieger dadurch, dass er nur lange genug seiner Sicherungspflicht nicht nachkommt, die Gesamtverantwortung auf den Geschädigten verlagert, weil diesem dann ja die Gefa...

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