Leitsatz (amtlich)
1. Zur Zulässigkeit einer VKH-Beschwerde im einstweiligen Anordnungsverfahren, wenn dort noch keine mündliche Erörterung stattgefunden hat.
2. Keine Zulassung der Rechtsbeschwerde trotz divergierender obergerichtlicher Rechtsprechung, wenn die Beschwerde zur Gewährung von VKH führt.
3. Die Drohung, ursprünglich einvernehmlich überlassene Nacktaufnahmen im Internet zu veröffentlichen, erfüllt den Tatbestand des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG.
Normenkette
FamFG § 57; GewSchG § 1; ZPO § 574 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Bielefeld (Aktenzeichen 343 F 1316/23) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Verfahrenskostenhilfe versagende Beschluss des Amtsgerichts
- Familiengericht - Bielefeld vom 3.7.2023 abgeändert.
Der Antragstellerin wird für das einstweilige Anordnungsverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin A aus E beigeordnet
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, durch den ihr Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf eine einstweilige Gewaltschutzanordnung versagt worden war. Dieser Antrag ist auf den Vortrag gestützt, der Antragsgegner habe gedroht, ihm ursprünglich freiwillig überlassene Nacktaufnahmen der Beschwerdeführerin im Internet zu veröffentlichen. Das Amtsgericht hatte die Versagung damit begründet, dass die angedrohte Handlung keine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung darstelle.
Das Rechtsmittel hatte vor dem Senat Erfolg.
Entscheidungsgründe
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
Insbesondere fehlt es an der Zulässigkeit nicht deswegen, weil die in der Sache selbst ergangene Entscheidung gemäß § 57 FamFG nicht rechtsmittelfähig wäre und der Rechtsweg in einem Nebenverfahren wie dem VKH-Verfahren grundsätzlich nicht weiter gehen kann als derjenige in der Hauptsache.
Denn die mangelnde Rechtsmittelfähigkeit der Hauptsacheentscheidung beruht hier ausschließlich darauf, dass noch keine mündliche Erörterung i. S. v. § 57 S. 2 FamFG stattgefunden hat. Sofern eine mündliche Verhandlung stattfindet, was die Antragstellerin durch einen Antrag erzwingen kann (§ 54 Abs. 2 FamFG), ist die dann ergehende erneute Entscheidung rechtsmittelfähig, weil es sich um ein Kataloggebiet (§ 57 S. 2 Nr. 4 FamFG: Gewaltschutz) handelt.
Bei dieser Sachlage ist der Auffassung zu folgen, die die Beschwerdefähigkeit einer VKH-Entscheidung bejaht (OLG Hamm 4 WF 261/12 v. 7.1.2013; OLG Hamburg 12 WF 125/20 v. 20.10.2020; OLG Frankfurt 8 WF 196/18 v. 14.2.2019; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, Rn. 5 zu § 57 FamFG; entgegen OLG Zweibrücken 2 WF 221/20 v. 25.11.2020; OLG Hamm 10 WF 92/10 v. 9.6.2010; 8 WF 281/10 v. 11.05.2011; Sternal/Giers, FamFG, 21. Aufl. 2023, Rn. 16 zu § 57).
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Entgegen der angefochtenen Entscheidung hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Gewaltschutzanordnung hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. d. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 76 Abs. 1 FamFG.
Fraglich ist bereits, ob das von der Antragstellerin behauptete Verhalten des Antragsgegners, nämlich die Androhung der Veröffentlichung zunächst freiwillig überlassener Nacktaufnahmen, für den Fall seiner Verwirklichung tatsächlich keinen der Straftatbestände des Abschnitts "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" des StGB (§§ 174 ff.) erfüllen würde. Zweifelhaft ist insbesondere, ob die Anwendbarkeit des § 184k Abs. 1 Nr. 3 StGB mit der Begründung verneint werden kann, bei der Fertigung der Aufnahmen sei das Tatbestandsmerkmal "gegen Anblick geschützt" nicht vorhanden gewesen. Bei einer "befugt" i. S. v. § 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB hergestellten Aufnahme kann dieses Merkmal im Aufnahmezeitpunkt naturgemäß niemals vorhanden gewesen sein, so dass die Tatbestandsvariante der Nr. 3 regelmäßig leerliefe, wenn man dies verlangen würde. In der Kommentarliteratur wird darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass die Variante der Nr. 3 auch vom Verletzten selbst gefertigte Aufnahmen erfasst (so z. B. Beck-Online-Kommentar/Ziegler, StGB, Stand 1.5.2023, Rn. 12 zu § 184k; Lackner/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, Rn. 4 zu § 184k).
Der Begriff der vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung i. S. d. § 1 GewSchG ist jedoch, auch wenn die Gesetzesmaterialien und einige Kommentierungen hier einen Gleichlauf sehen (BT-Drs. 19/27654, S. 128 f.; Beck-Online-Großkommentar/Schulte-Bunert, GewSchG, Stand 1.7.2023, Rn. 17 zu § 1; Beck-Online-Kommentar/Reinken, GewSchG, Stand 1.5.2023, Rn. 13a zu § 1), nicht einmal zwingend auf die Erfüllung der Straftatbestände der §§ 174 ff. StGB beschränkt. Vielmehr spricht nichts dagegen, den zivilrechtlichen Schutz - ebenso wie es z. B. auch bei den Unterlassungsansprüchen gemäß bzw. analog § 1004 BGB geschieht - auch gegen unterhalb der strafrechtlichen Erheblichkeitsschwelle liegende Eingriffe in die geschützten absoluten Rechtsgüter zu gewähren. Erst recht gilt das, wenn sogar die strafrechtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, der verw...