Leitsatz (amtlich)

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung wird nicht allein dadurch begründet, dass der Gläubiger zuvor bei einem deutschen Gericht einen dinglichen Arrest erwirkt hat.

 

Normenkette

EuKoPfVO Art. 4 Ziff. 8, Art. 5, 6 Abs. 1, 3, Art. 10

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 22 O 97/19)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 21.500.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt den Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung nach der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des europäischen Parlaments und des Rats vom 15.05.2014 (EuKoPfVO) wegen einer Forderung gegen den Antragsgegner in Höhe von 64.498.065 EUR (entspricht 4.701.354.327 Rubel).

Der Antragsgegner mit jetzigem Wohnsitz in Österreich war von 2012 bis 2015 Vertretungsorgan (Generaldirektor) der Antragstellerin, die ihren Sitz in der Russischen Föderation hat. Die Antragstellerin wirft ihm vor, im Zusammenhang mit Pfahlbohrarbeiten der Antragstellerin beim Bau einer Raffinerie in großem Umfang Scheingeschäfte abgewickelt zu haben mit der Folge, dass Zahlungen zu Lasten der Antragstellerin in Höhe von 4.701.354.327 Rubel ohne Gegenleistungen erbracht worden seien. In dieser Höhe berühmt sich die Antragstellerin eines Schadensersatzanspruchs gegen den Antragsgegner.

Wegen eines Teilbetrages in Höhe von 100.000 EUR hat die Antragstellerin unter dem 02.09.2019 den dinglichen Arrest in das Vermögen des Antragsgegners erwirkt (024 O 54/19 LG Münster) und in Vollziehung des Arrests Geschäftsanteile des Antragsgegners an zwei GmbH in E gepfändet.

Im vorliegenden Verfahren soll wegen des gesamten Schadensersatzanspruchs die Sicherung auf sämtliche europäischen Konten des Antragsgegners ausgeweitet werden. Insoweit behauptet die Antragstellerin, der Antragsgegner verfüge über Bankkonten in Ungarn und Slowenien.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Landgericht Münster sei international unzuständig. Die internationale Zuständigkeit folge insbesondere nicht aus § 23 ZPO. Diese Vorschrift, die den Zugriff auf inländisches der Zwangsvollstreckung unterliegendes Vermögen gewähre, sei nicht einschlägig, da die Antragstellerin nicht die Pfändung von Kontoguthaben bei deutschen Banken anstrebe. Zudem fehle es an dem erforderlichen Inlandsbezug, der nicht allein durch die Beteiligung an zwei Gesellschaften mit Sitz in Deutschland begründet werde.

Mit ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Sie rügt, das Landgericht habe zu Unrecht die internationale Zuständigkeit verneint. Diese ergebe sich aus Art. 6 Abs. 3 EuKoPfVO. Da in Deutschland mit dem Arrestbefehl vom 02.09.2019 bereits eine Entscheidung über die streitgegenständliche Forderung ergangen sei, seien deutsche Gerichte auch für die nun angestrebte Entscheidung international zuständig. Der Begriff der Entscheidung in Art. 6 Abs. 3 EuKoPfVO sei weit auszulegen und erfasse auch eine vorläufige Maßnahme wie die Arrestanordnung. Zudem werde vom Verordnungsgeber ein Gleichlauf der Zuständigkeiten angestrebt.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit näheren Ausführungen nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 953 Abs. 1 ZP0 statthaft und innerhalb der Frist von 30 Tagen gem. Art. 21 Abs. 2 S. 1 EuKoPfVO i.V. m. § 953 Abs. 2 ZPO eingelegt worden.

Das danach zulässige Rechtsmittel ist in der Sache jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht seine internationale Zuständigkeit verneint (dazu unten zu 1.). Unabhängig davon kommt der Erlass eines Kontenpfändungsbeschlusses schon deshalb nicht mehr in Betracht, weil die Antragstellerin nicht fristgerecht die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens nachgewiesen hat (dazu unten zu 2.).

1. Das angerufene Landgericht Münster ist international nicht zuständig.

Als maßgebliche Norm für die internationale Zuständigkeit kommt vorliegend ernsthaft nur Art. 6 EuKoPfVO in Betracht. Jedoch liegen weder die Voraussetzungen des Absatzes 1 noch des Absatzes 3 dieser Vorschrift vor.

a) Die Antragstellerin stützt sich zu Unrecht auf Art. 6 Abs. 3 EuKoPfVO. Nach dieser Vorschrift sind in dem Fall, dass der Gläubiger bereits eine u.a. gerichtliche Entscheidung erwirkt hat, die Gerichte des Mitgliedsstaates, in dem die Entscheidung erlassen wurde, für den Erlass des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung über die in der gerichtlichen Entscheidung angegebenen Forderung zuständig. Der Arrestbefehl des Landgerichts Münster vom 02.09.2019 stellte eine "gerichtliche Entscheidung" in diesem Sinne nicht dar.

Zwar ist unter einer gerichtlichen Entscheidung nach der Legaldefinition in Art. 4 Ziff. 8 EuKoPfVO jede von einem Gericht e...

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