Entscheidungsstichwort (Thema)

Corona. Freistunde. Maßnahme. Infektionsschutz. Absonderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gemäß § 6 IfSBG-NRW sind grundsätzlich zuständig für die Anordnung von Maßnahmen gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 IfSG die Städte und Gemeinden bzw. die Kreise als untere Gesundheitsbehörden. Eine Zuständigkeit der Vollzugsanstalten besteht nicht; auch ist eine Möglichkeit zur Delegation der Anordnungsbefugnisse nicht vorgesehen.

2. Trifft die Vollzugsanstalt Anordnungen zur Vermeidung von Corona-Infektionen, welche die im Strafvollzugsgesetz NRW ausdrücklich vorgesehenen Rechte der Gefangenen (hier der Anspruch auf einen täglichen Aufenthalt im Freien gemäß § 43 Abs. 2 StVollzG NRW) ausdrücklich oder auch nur tatsächlich einschränken, handelt es sich stets (zumindest auch) um eine im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG anfechtbare Maßnahme. Dies gilt auch dann, wenn die Vollzugsanstalt sich zur Rechtfertigung der Anordnung (vorliegend mangels entsprechender Zuständigkeit) unzutreffend auf außerhalb der Regelungen der Strafvollzugsgesetze liegende Vorschriften stützt.

3. Pandemiebedingte Absonderungsmaßnahmen im Strafvollzug können ihre Rechtfertigung in der als Generalklausel ausgestalteten Regelung des § 2 Abs. 4 S. 2 StVollzG NRW finden, wonach den Gefangenen, die nach S. 1 der Vorschrift "den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen ihrer Freiheit" unterliegen, in den Fällen, in denen "das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält" weitere (vgl. LT-Drucksache 16/5413 S. 79) "Beschränkungen auferlegt werden" können, "die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich sind".

 

Normenkette

StVollzG §§ 109 ff.; IfSG § 30 Abs. 1 S. 2; IfSBG-NRW § 6; StVollzG NRW § 43 Abs. 1 S. 1; StVollzG NRW § 43 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Aktenzeichen 2 StVK 147/21)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, soweit sich der Betroffene gegen die vorübergehende Aussetzung der Freistunde bzw. den angeordneten Einschluss zur Vorbeugung von Coronainfektionen in der Zeit vom 28. bis zum 31. Mai 2021 wendet.

Insoweit wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.

Im Hinblick auf die vom Betroffenen begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der nach seinem Vorbringen auch in der Zeit vom 01. bis zum 10. Juni 2021 lediglich eingeschränkten Gewährung einer Freistunde wird die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückgegeben.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen (§ 121 Abs. 2 S. 1 StVollzG).

 

Gründe

I.

Der Betroffene befindet sich im Strafvollzug der JVA Werl und wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer das Landgerichts Arnsberg, mit welchem seine Anträge auf gerichtliche Entscheidung betreffend eine von ihm begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit eines vorübergehenden Einschlusses aller Strafgefangenen und der damit verbundenen Aussetzung der täglichen Freistunde zur Vorbeugung von Coronainfektionen sowie eines von ihm begehrten Angebotes für eine Coronaschutzimpfung zurückgewiesen worden sind.

Am 28. Mai 2021 waren mehrere Insassen der JVA Werl positiv auf das Coronavirus getestet worden. Um die weitere Ausbreitung des Virus in der gesamten Anstalt zu verhindern, wurde daraufhin in enger Abstimmung mit dem zuständigen Gesundheitsamt des Kreises Soest sowie dem Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen der Einschluss aller Inhaftierten/Untergebrachten veranlasst, mit der Folge, dass vom Nachmittag des 28. Mai 2021 bis zum 31. Mai 2021 ein Aufenthalt im Freien nicht mehr stattfand.

Gegen die entsprechende Anordnung wandte sich der Betroffene mit seinem am 01. Juni 2021 beim Landgericht Arnsberg eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. Mai 2021, mit welchem er die Feststellung der Rechtswidrigkeit und die Aufhebung der Maßnahme mit der Begründung begehrte, er habe keinen persönlichen Kontakt zu einer mit Corona infizierten Person gehabt.

Darüber hinaus begehrte er, die JVA zu verpflichten, ihn unverzüglich gegen das Coronavirus zu impfen, worum er sich seit dem 12. Mai 2021 vergeblich bemüht habe.

Ab dem 01. Juni 2021 wurde den Strafgefangenen - nach den Gründen des angefochtenen Beschlusses "arbeitstäglich", nach dem ergänzenden Antragsvorbringen des Betroffenen indes lediglich in geringerem Umfang - eine etwa 45-minütige Freistunde in festen Gruppen von maximal zehn Insassen angeboten. Ab dem 11. Juni 2021 wurden für den Betroffenen sämtliche Beschränkungen aufgehoben, am 24. Juni 2021 wurde der Betroffene gegen das Coronavirus geimpft.

Auf entsprechende gerichtliche Anfrage betreffend eine etwaige Erledigung der Sache teilte der Betroffene mit Schriftsatz vom 30. Juli 2021 mit, dass ihm im Zeitraum vom 28. Mai bis zum 10. Juni 2021 keine tägliche Freistunde ermöglicht worden sei, ob nunmehr wieder die tägliche Freistunde ...

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