Entscheidungsstichwort (Thema)
Beleidigung. Meinungsfreiheit. ehrverletzende Äußerung. Behördenvertreter
Leitsatz (amtlich)
Beleidigung zur grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit bei ehrverletzenden Äußerungen gegenüber Behördenvertretern.
Normenkette
StGB §§ 185, 193; GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Altena (Entscheidung vom 22.04.2014; Aktenzeichen 12 Cs - 674 Js 163/13 - 101/13) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Altena hat den Angeklagten mit Urteil vom 22. April 2014 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 60,- € verurteilt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts schrieb der Angeklagte am 4. November 2012 als Reaktion auf einen vorherigen Fernsehbericht des WDR über die Abschiebehaft eines serbischen Ehepaares, in dem über "angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis" berichtet worden war, eine E-Mail mit folgendem Inhalt an die zuständige Behörde, das Ausländeramt des Kreises G:
"
"Sehr geehrte Damen und Herren,
nach dem Erleben des heutigen WDR-Beitrages muss ich sachlich feststellen, daß Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben. Man sollte doch erwarten, daß die rechtssicheren Handlungen, die jedem damaligen Judenschänder seinen Beamtenstatus erhielten, auch noch von Ihnen beherrscht werden. Aber zu Ihrer Beruhigung: Ehe dem deutschen Beamten ein Rechtsbruch nachgewiesen würde, drehte sich die Erde rückwärts.
Weiter so bis zum Ruhestand.
Und Kopf hoch, selbst Roland Freislers Witwe wurde im Nachhinein die Altersversorgung aufgebessert.""
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (Sprung-)Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil hält einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Schuldspruch nicht Stand.
Nicht zu beanstanden ist die von dem Amtsgericht vorgenommene Einordnung des Inhalts der E-Mail des Angeklagten als ehrkränkende, beleidigende Meinungsäußerung und die Annahme, dass sie sich gegen einen abgrenzbaren Kreis der bei der Ausländerbehörde des Kreises G tätigen Mitarbeiter und nicht gegen die Behörde als Institution gerichtet habe.
Jedoch fallen auch - wie hier vorliegende - polemische, drastische und ehrverletzende Formulierungen einer Meinungsäußerung in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Werturteile sind von Art 5 Abs.1 S.1 GG geschützt, ohne dass es darauf ankommt , ob die Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", emotional oder rational begründet ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, NJW 1992, 2815).
Bei der Auslegung und Anwendung der §§ 185, 193 StGB verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG daher grundsätzlich eine alle wesentlichen Umstände berücksichtigende Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des bzw. der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. August 2005, NJW 2005, 3274).
Im Rahmen dieser verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung tritt die Meinungsfreiheit allerdings dann regelmäßig hinter dem Ehrschutz zurück, ohne dass es einer konkreten, näheren Abwägung bedarf, wenn es sich um herabsetzende Äußerungen handelt, die eine Schmähung der angegriffenen Person darstellen oder deren Menschenwürde antasten. Wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng auszulegen. Eine Schmähung liegt nicht bereits wegen der herabsetzenden Wirkung einer Äußerung für Dritte vor, selbst wenn es sich um eine überzogene oder ausfällige Kritik handelt. Vielmehr nimmt eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache - jenseits von polemischer und überspitzter Kritik - , sondern, die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. August 2005, a.a.O.; Beschluss vom 5. Dezember 2008, NJW 2009, 749). Eine solche als Schmähung einzuordnende Äußerung hat regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik erfordert jedoch regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Zwar hat das Amtsgericht noch genügende Feststellungen zu Anlass und Kontext der in Rede stehenden Äußerung getroffen; die Einordnung der Äußerung als Schmähkritik durch das Amtsgericht ist hingegen rechtlich nicht haltbar. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte mit seiner E-Mail auf einen zuvor am selben Tag gesendeten Fernsehbericht des WDR über die Abschiebung eines serbischen Ehepaares, in dem "angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis" der zust...