Leitsatz (amtlich)
Die Annahme eines drohenden Verlustes der wirtschaftlichen Existenzgrundlage infolge eines Fahrverbotes ist erst gerechtfertigt, wenn die ernsthafte Gefahr des Eintritts dieser Folge auch für den Fall besteht, dass der Betroffene alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um Auswirkungen des Fahrverbotes gering zu halten. Um das Bestehen einer ernsthaften Gefahr im vorgenannten Sinn zu bejahen, bedarf es der Feststellung hinreichend konkreter Tatsachen, die einen entsprechenden Rückschluss zulassen. Die Annahme eines drohenden Arbeitsplatzverlustes setzt daher zunächst voraus, dass es bei einer Anordnung des Fahrverbotes zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses kommen würde.
Verfahrensgang
AG Essen (Entscheidung vom 07.09.2005) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Essen hat durch Urteil vom 07.09.2005 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft (fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 3 Ziffer 1, 49 Abs. 1 Ziffer 3 StVO) eine Geldbuße von 200,- EUR verhängt.
Nach den Urteilsfeststellungen überschritt der Betroffene am 09.06.2005 gegen 20.15 Uhr mit dem von ihm geführten PKW mit dem amtlichen Kennzeichen auf der Meisenburgstraße in Essen, die er in Fahrtrichtung Innenstadt befuhr, die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 37 km/h. Dabei ist dem Betroffenen zumindest aus grober Nachlässigkeit heraus entgangen, dass er nur 50 km/h hätten fahren dürfen bzw. die Höchstgeschwindigkeit überschritten hatte.
Zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen hat das Amtsgericht festgestellt, dass dieser ledig ist und keine Kinder hat und als kaufmännischer Angestellter für die Firma "V." im Außendienst tätig ist und für seine Tätigkeit einen monatlichen Nettoverdienst in Höhe von ca. 2.500,- EUR bezieht.
Das Amtsgericht hat den Rechtsfolgenausspruch wie folgt begründet:
"Nach § 17 Abs. 2 OWiG wird eine fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeit, soweit keine Sonderregelung besteht, was hier nicht der Fall ist, mit einer Geldbuße in Höhe des halben Satzes des Absatzes 1 von 1.000,00 EUR, also mit einer Geldbuße bis zu 500,00 EUR, geahndet.
Im Rahmen der Strafzumessungserwägungen hat das Gericht die unter I. aufgeführten Einkommensverhältnisse des Betroffenen berücksichtigt. Ferner hat es berücksichtigt, dass der Betroffene im Verkehrszentralregister nicht verzeichnet ist. Bei der Bemessung der Geldbuße hat das Gericht sich ferner von dem Bußgeldkatalog leiten lassen, der im Regelfall bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 bis 40 km/h eine Geldbuße von 100,- EUR vorsieht. Das Gericht war sich der Tatsache bewußt, dass dies nur einen Anhaltspunkt darstellt, aber keinesfalls eine Bindungswirkung für das Gericht hat. Im Hinblick auf das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots hat das Gericht die Geldbuße durch Verdoppelung i.S.d. § 4 Abs. 4 BußgeldkatalogVO angemessen erhöht. Nach Auffassung des Gerichts ist danach die Verhängung einer Geldbuße von 200,00 EUR tat- und schuldangemessen.
Der bundeseinheitliche Tatbestandskatalog sieht darüber hinaus die Verhängung eines 1-monatigen Fahrverbots vor. Nach § 25 StVG ist ein solches zu verhängen, wenn eine Verkehrsordnungswidrigkeit unter grober oder beharrlicher Verletzung von Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde. Die Überschreitung um mehr als 31 km/h innerhalb geschlossener Ortschaft ist regelmäßig als grober Verstoß einzuordnen, was der Verordnungsgeber im bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog zur Bußgeldkatalogverordnung zum Ausdruck gebracht hat. Das Gericht hat jedoch aus Verhältnismäßigkeitsgründen davon abgesehen, dem Betroffenen ein Fahrverbot aufzuerlegen. Von einem Fahrverbot darf abgesehen werden, wenn es sich als Härte ganz außergewöhnlicher Art darstellt. Dies ist vorliegend auch unter Berücksichtigung der Denkzettelfunktion des Fahrverbotes nach Auffassung des Gerichts der Fall. Der Betroffene arbeitet für die Firma V., die Büroeinrichtungen vertreibt. Er ist als Außendienstmitarbeiter im Verkaufsgroßbereich des Ruhrgebiets tätig. Der Betroffene fährt nach eigenen Angaben als Außendienstmitarbeiter ca. 4.500 km mit seinem Fahrzeug. Er ist nach seinen glaubhaften Angaben dringend auf ein Fahrzeug angewiesen. Seine Aufgaben werden durch die Erklärung der Firma V. vom 05.09.2005 bestätigt. Darin hat der Vertriebsleiter der V. GmbH & Co. KG Deutschland ausgeführt, dass der Betroffene im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen darauf angewiesen sei, ein KFZ im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Ohne Inanspruchnahme seines Fahrzeuges könne er seinen beruflichen Verpflichtungen gegenüber nicht nachkommen. Bei Au...