Leitsatz (amtlich)
1. Vorprozessual entstandene Privatgutachterkosten sind im Kostenfestsetzungsverfahren festsetzungsfähig, wenn sie prozessbezogen aufgewandt worden sind und prozessnotwendig waren (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO).
2. An der erforderlichen Prozessbezogenheit fehlt es i.d.R., wenn der Versicherer das Gutachten auf eine Schadensmeldung hin zur Prüfung seiner Einstandspflicht in Auftrag gibt.
3. Dagegen ist die Prozessbezogenheit zu bejahen, wenn der Versicherer den nicht fern liegenden Verdacht hegt, Opfer eines Versicherungsbetruges werden zu sollen, weil er dann damit rechnen muss, der Anspruchsteller werde ihn unabhängig vom Ergebnis des Gutachtens gerichtlich in Anspruch nehmen.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1, §§ 103-104
Verfahrensgang
LG Siegen (Aktenzeichen 2 O 52/99) |
Tenor
In Abänderung der angefochtenen Entscheidung hat der Kläger an die Beklagte weitere Kosten von 1.228,12 Euro (2.402 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 15.12.2000 zu erstatten.
Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger nach einem Gegenstandswert von 522,19 Euro.
Gründe
Die als sofortige Beschwerde zulässige Erinnerung der Beklagten gegen die Absetzung der für den Sachverständigen M. vorprozessual aufgewandten Kosten von 1.173,92 DM hat vollen Erfolg. Dadurch erhöht sich der weitere Erstattungsanspruch der Beklagten von 1.380,69 DM um 1.021,31 DM (87 % von 1.173,92 DM) auf nunmehr 1.228,12 Euro.
Allerdings stellt die Rechtspflegerin im Ansatz zutreffend darauf ab, dass die Kosten eines vorgerichtlich eingeholten Privatgutachtens nur dann erstattungsfähig sind, wenn der Sachverständige im Hinblick auf einen konkret bevorstehenden Rechtsstreit beauftragt wurde, um der Darlegungs- und Beweislast zu genügen (vgl. OLG Hamm v. 18.12.1995 – 23 W 454/95, OLGReport Hamm 1996, 105 f.), und wenn diese Maßnahme vorbereitend zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bei verständiger Würdigung der Parteibelange aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten veranlasst war (vgl. OLG Hamm v. 15.10.1998 – 23 W 374/98, OLGReport Hamm 1999, 111 f.). Gibt ein Versicherer schon auf die Schadensmeldung hin zur Prüfung seiner Einstandspflicht ein Privatgutachten in Auftrag, so liegen Anhaltspunkte für eine Deckungsklage i.d.R. noch nicht vor und fehlt mithin der Einschaltung des Sachverständigen die konkrete Prozessbezogenheit. Diese Kosten sind nach der st. Rspr. des Senats nicht erstattungsfähig (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 26.11.1991, JurBüro 1992, 818).
Abweichendes gilt aber dann, wenn der Versicherer sogleich den nicht fern liegenden Verdacht hegt, dass er Opfer eines Versicherungsbetruges werden soll. Dann muss er von Anfang an damit rechnen, dass es zum Prozess kommen wird, selbst wenn er seine Einstandspflicht mit stichhaltiger Begründung ablehnt. Denn zur Charakteristik dieser Straftat gehört es, dass der Täter versucht, sein Ziel einer sachlich nicht gerechtfertigten Regulierung des Schadens unter Ausnutzung aller Möglichkeiten – insb. durch einen Rechtsstreit – zu erreichen. Nach kriminologischer Erfahrung kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein solcher Tatplan schon dann aufgegeben wird, wenn das von dem Versicherer eingeholte Schadensgutachten für den Anspruchsteller ungünstig ausfällt. Deshalb ist ein Versicherer im Eigeninteresse gehalten, bei Verdacht auf Versicherungsbetrug umgehend alle Maßnahmen zu ergreifen, um einer zu erwartenden gerichtlichen Inanspruchnahme wirksam begegnen zu können (vgl. unveröffentlichte OLG Hamm, Beschl. v. 9.8.2001 – 23 W 280/01; Beschl. v. 30.3.2000 – 23 W 155/00; Beschl. v. 8.2.1999 – 23 W 539/98; Beschl. v. 19.8.1996 – 23 W 244/96).
Die Besonderheiten der Schadensmeldung des Klägers legten die Vermutung nahe, dass die Beschädigungen an dem Pkw anders als behauptet eingetreten waren. Als Begründung hierfür konnte die Beklagte nur mutmaßen, dass bei wahrheitsgemäßer Schilderung der Schadensursachen ihre Leistungspflicht nicht in Betracht gekommen wäre, dass also gezielt versucht wurde, sich auf ihre Kosten zu bereichern. Sie musste sich deshalb von vornherein auf einen Deckungsprozess einstellen. Um ihren Verdacht dort vortragen und unter Beweis stellen zu können, war es geboten, einen Sachverständigen mit der Spurensicherung zu beauftragen. Denn es stand zu befürchten, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine unrichtige Sachdarstellung des Klägers bis zur Klageerhebung keinen Bestand haben würden, weil sie dann beseitigt worden oder verwischt sein konnten. Mithin sind auch die vorprozessual aufgewandten Kosten für den Sachverständigen M. prozessbezogen und prozessnotwendig gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Gegenstandswert folgt aus dem Abänderungsbegehren.
Schnapp Rautenberg Dr. Funke
Fundstellen
Haufe-Index 1106180 |
OLGR Hamm 2003, 15 |
ZfS 2003, 145 |