Leitsatz (amtlich)
Die unterbliebene Einholung eines von Amts wegen einzuholenden Sachverständigengutachtens stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel als Ausfluss der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG dar und begründet einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.d. § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG.
Normenkette
FamFG § 69 Abs. 1 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Bochum (Aktenzeichen 86 F 5/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bochum vom 22.05.2023 und das zugrunde liegende Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht - Familiengericht - Bochum zurückverwiesen.
Gründe
I. Die beteiligten Kindeseltern streiten um die Ausweitung der bestehenden Umgangskontakte des Kindesvaters mit dem gemeinsamen Sohn A., geb. am 00.00.2008. Die vom Kindesvater im vorliegenden Verfahren begehrten 14-tägigen Übernachtungskontakte werden von der Kindesmutter abgelehnt, da diese Kontakte dem Kindeswohl des schwerstbehinderten A. und seiner Gesundheit nicht entsprechen würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sachverhaltsdarstellung im angegriffenen Beschluss Bezug genommen.
Das Familiengericht hat unter dem 01.03.2022 zur Klärung der Umgangsfrage einen Beweisbeschluss erlassen. Danach sollte ein noch zu bestimmender Sachverständiger klären, ob anlässlich der Durchführung von Umgangskontakten eine Gefahr von körperlichen oder seelischen Schäden für das Kind bestehe, ob es bei Durchführung von Umgangskontakten zu einer Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens des Kindes komme, welche pflegerischen Maßnahmen im Hinblick auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Kindes bei Umgängen getroffen werden müssten und ob der Kindesvater diese leisten könne sowie welche Beziehung das Kind zum Kindesvater habe.
Mit Beschluss vom 17.06.2022 hat das Familiengericht letztlich den Sachverständigen F. von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in L. mit der Gutachtenerstattung beauftragt und ergänzend dem Sachverständigen aufgegeben, im Hinblick auf die Frage nach möglichen seelischen Beeinträchtigungen seine Erkenntnisse anlässlich Kontakten zwischen A. und dem Kindesvater, die er beobachtet hat, mitzuteilen.
In dem Gutachten vom 05.07.2022 nahm der Sachverständige zu der Frage, ob eine Entfernung des Tracheostomas bzw. der Trachealkanüle möglich ist. Zu dem Verhalten des Kindes bei Kontakten mit dem Kindesvater konnte der Sachverständige nichts sagen.
Zuvor, nämlich am 16.05.2022 nahm die zuständige Richterin telefonischen Kontakt zur behandelnden Kinderärztin von A., Frau C. auf und fertigte hierzu im einstweiligen Anordnungsverfahren 86 F 34/22 AG Bochum einen entsprechenden Vermerk. Dieser Vermerk ist dann ohne einen entsprechenden Hinweis zum vorliegenden Verfahren genommen worden.
Ferner hat die zuständige Familienrichterin am 15.04.2023 einen Umgangskontakt A.s mit dem Kindesvater in dessen Haushalt begleitet und im Anschluss daran den Haushalt der Kindesmutter aufgesucht, in den A. gerade zurückgekehrt war. Dabei hat sie versucht über ein von A. genutztes Kommunikationsgerät Ja / Nein - Antworten auf Fragen von A. zu erhalten. Da A. nach Einschätzung der zuständigen Richterin an diesem Abend ermüdet und nicht in Stimmung war, sollte eine erneute Befragung am 27.04.2023 im Haushalt der Kindesmutter erfolgen. Ob es hierzu gekommen ist, lässt sich der Akte nicht entnehmen, insbesondere findet sich in der Akte kein entsprechender Vermerk.
Nach erneuter Anhörung der Beteiligten hat das Familiengericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 22.05.2023 ein 14-tägiges Umgangsrecht des Kindesvaters mit A. von samstags 10:00 Uhr bis sonntags 18:00 Uhr für die Zeit bis Ende Oktober sowie ab November 2023 einen entsprechenden Umgang von freitags 17:00 Uhr bis sonntags 17:00 Uhr bestimmt.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Familiengericht auf das eingeholte Gutachten, das mit der Kinderärztin geführte Telefonat sowie die eigenen Beobachtungen bei dem Umgangskontakt abgestellt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen.
Gegen den am 15.06.2023 zugestellten Beschluss hat die Kindesmutter mit am 16.06.2023 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und begründet. Zur Begründung führt sie unter näherer Erläuterung aus, dass die Entscheidung dem Kindeswohl widerspreche.
Sie beantragt,
1. den angegriffenen Beschluss abzuändern und die Anträge abzuweisen;
2. hilfsweise den Beschluss aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Bochum zurückzuverweisen.
Der Kindesvater beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die angeordneten Übernachtungskontakte dem Kindeswohl entsprechen würden.
Der Senat hat auf Antrag der Kindesmutter und mit Zustimmung des Kindesvaters mit am 17.07.2023 erlassenen ...