Leitsatz (amtlich)
Eine Gerichtsstandbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn die Klage mangels Zustellung an den Beklagten noch nicht rechtshängig ist. In diesem Fall kann ein Verweisungsbeschluss des zuerst angerufenen Gerichts aufzuheben und die Sache unter Ablehnung einer Zuständigkeitsbestimmung an dieses Gericht zurückzugeben sein.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
AG Hamm (Aktenzeichen 24 C 34/19) |
Tenor
Der Senat lehnt - unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Hamm vom 20.06.2019 - eine Zuständigkeitsbestimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab.
Die Sache wird zur weiteren Sachbehandlung an das Amtsgericht Hamm zurückgegeben
Gründe
I. Der Rechtsstreit liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.
Dem Rechtsstreit liegt - soweit für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang - im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Klageschrift vom 29.04.2019 hat der in I wohnhafte Kläger vor dem Amtsgericht Hamm Klage gegen die in X ansässige Beklagte - gestützt auf §§ 826, 249 ff. BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung - u.a. auf Zahlung von 3.673,78 EUR zzgl. Nebenforderungen erhoben. Die Klageschrift ist der Beklagten bislang nicht zugestellt worden.
Der Kläger erwarb am 09.09.2014 bei der Firma M Automobile in L zum Kaufpreis von 17.300 EUR einen Z mit einem Dieselmotor xx, der seinem Vorbringen nach mit einer sog. Abschaltsoftware ausgestattet ist. Der Kaufvertrag wurde am Sitz des Verkäufers in L geschlossen, wo der Kläger ausweislich der Anlage K 3 nach einer geleisteten Anzahlung bei Abholung am 12.09.2014 auch den restlichen Kaufpreis in Höhe von 17.000 EUR beglich.
Mit allein an den Kläger gerichteter Verfügung vom 27.05.2019 hat das Amtsgericht Hamm mit näherer Begründung darauf hingewiesen, dass es mit Blick auf die in L erfolgten Erfüllungshandlungen örtlich unzuständig sein dürfte. Zugleich hat es um Stellungnahme gebeten, ob Verweisung an das Amtsgericht Kassel, hilfsweise das Amtsgericht Wolfsburg beantragt werde.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 14.06.2019 hat der Kläger darauf verwiesen, dass Ort des Schadenseintritts sein Wohnort sei. Hilfsweise hat er die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Kassel beantragt.
Ohne Anhörung der Beklagten hat sich das Amtsgericht Hamm sodann mit dem aus dem Kläger bekannt gemachten Beschluss vom 20.06.2019 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Kassel "abgegeben". Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des vorgenannten Beschlusses Bezug genommen (Bl. 119 f. d.A.).
Das Amtsgericht Kassel hat den Kläger mit Verfügung vom 01.07.2019 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Übernahme des Verfahrens abzulehnen, da das Amtsgericht Hamm zuständig sei. Mit allein ihm bekannt gemachtem Beschluss vom 18.07.2019 hat es sodann die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt, sich seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht Hamm zurückgegeben. Dieses sei gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig, weil sich dort der Wohnort des Klägers befinde. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den vorbezeichneten Beschluss Bezug genommen (Bl. 126 f. d.A.)
Das Amtsgericht Hamm wiederum hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29.07.2019 zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 ZPO dem Oberlandesgericht Hamm vorgelegt (Bl. 129 ff. d.A.).
Der Senat hat beide Parteien mit Verfügung vom 09.08.2019 angehört (Bl. 135 d.A.).
II. Der Senat lehnt eine Entscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab, da die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO derzeit nicht vorliegen.
1. Zwar ist das Oberlandesgericht Hamm gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen. Danach wird, wenn das höhere gemeinschaftliche Gericht der an dem Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte der Bundesgerichtshof ist, das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste, an dem Kompetenzkonflikt beteiligte Gericht gehört (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss v. 28.10.2013, 1 W 67/03; Zitat nach Juris). Vorliegend war das im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm gelegene Amtsgericht Hamm zuerst mit der Sache befasst.
2. Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Ergebnis (noch) nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist das zuständige Gericht zu bestimmen, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
a) Das Amtsgericht Hamm hat den Rechtsstreit vor Klagezustellung und ohne Anhörung der Beklagten mit Beschluss vom 20.06.2019 an das Amtsgericht Kassel "abgegeben". Das Amtsgericht Kassel hat durch allein dem Kläger bekannt gemachten Beschluss vom 18.07.2019 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sich ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Hamm zurückge...