Leitsatz (amtlich)

Das Widerrufsgericht ist beim Bewährungswiderruf wegen Begehung einer neuen Straftat schon dann befasst, wenn die Begehung neuer Straftaten aktenkundig wird. Auf eine neue Verurteilung in der Sache muss das Widerrufsgericht nicht warten. Dabei kann bereits die Verbüßung so genannter Organisationshaft zu einer Begründung der örtlichen Zuständigkeit einer anderen Kammer führen, da die Organisationshaft im Gegensatz zur Verschubung langfristiger sein kann und zudem auf die Strafhaft angerechnet wird.

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) mit der Maßgabe, dass die Aussetzung der Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 13.06.2005 (i.V.m.d. Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 23.08.2005) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten widerrufen ist, verworfen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Verurteilten mit Urteil vom 13.06.2005 i.V.m. dem Urteil vom 23.08.2004 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 20 Fällen, wegen Geldwäsche und wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt, dem Verurteilten wurde eine Therapieweisung erteilt. Die ambulante Therapie führte in den Jahren 2006 und 2007 durch. Am 04.06.2007 wurde er wegen eines Straßenverkehrsdeliktes zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 28.04.2008, rechtskräftig seit dem 06.05.2008, ist der Verurteilte erneut wegen - in der vorliegenden Bewährungszeit begangenen - Betäubungsmittelstraftaten unter Einbeziehung der Verurteilung vom 04.06.2007 zu zwei Gesamtstrafen (1 Jahr und 6 Monate sowie 2 Jahre) verurteilt worden. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Aufgrund dieser Verurteilung hat die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bielefeld die Strafaussetzung zur Bewährung nach schriftlicher Anhörung des Verurteilten mit dem angefochtenen Beschluss widerrufen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde.

II.

Die statthafte und zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bielefeld örtlich und sachlich zuständig.

Zunächst war hier zwar mit der Übersendung des Haftbefehls aus dem Verfahren, das zur neuen Verurteilung führte, zum hiesigen Bewährungsheft im Februar 2008 das erstinstanzliche Gericht mit der Widerrufsfrage befasst, da sich der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt lediglich in Untersuchungshaft in der JVA Bielefeld-Brackwede I befand und Untersuchungshaft für die Strafvollstreckungskammer nicht zuständigkeitsbegründend wirkt.

Mit Rechtskraft der neuen Verurteilung am 06.05.2008 ging die Untersuchungshaft in Strafhaft über und so wurde gemäß § 462a Abs. 1 S. 1 StPO die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer Bielefeld für den weiterhin in Bielefeld einsitzenden Beschwerdeführer begründet (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 462a Rdn. 6).

Anders als der Beschwerdeführer, ist der Senat der Ansicht, dass die Befassung nicht erst mit dem Eingang einer Urteilskopie zum Bewährungsheft eingetreten ist. Zwar bedarf es nach der Rechtsprechung des EGMR ( StV 2003, 82) für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Straftat zumindest der erstinstanzlichen Aburteilung dieser Tat oder aber eines glaubhaften Geständnisses des Täters, so dass ein Widerruf trotz Mitteilung des Verdachts der neuen Taten so lange nicht in Betracht kommt, wie diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Daher könnte man Zweifel haben, ob ein Befasstsein in dem Sinne, dass Tatsachen aktenkundig werden, die den Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen (vgl.: BGH bei Becker NStZ-RR 2005, 65, 69; OLG Hamm Beschl.v. 10.07.2007 - 3 Ws 417/07 - [...]; Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 11 m.w.N.), vorliegt (vgl.: LG Bochum NStZ 2003, 567). Eigentlicher Widerrufsgrund ist nach der Gesetzesformulierung des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB aber nach wie vor die neue Straftat, nicht die neue Verurteilung. Das Widerrufsgericht muss lediglich mit seinem Widerruf so lange zuwarten, bis die o.g. Voraussetzungen vorliegen. Daher ist ein Befasstsein beim Widerruf nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB schon dann gegeben, wenn die Begehung neuer Straftaten aktenkundig wird, was hier mit Übersendung des Haftbefehls der Fall war.

Eine Befassung der Strafvollstreckungskammer Bielefeld scheidet auch nicht deswegen aus, weil es sich bei der ab Rechtskraft bis zur Verlegung in die Maßregeleinrichtung nach Marsberg am 28.05.2008 in der JVA Bielefeld-Brackwede I verbüßten Haft um sog. "Organisationshaft" bis zur Überführung in den hier (§ 67 Abs. 1 StGB) vorweg vorzunehmenden Maßregelvollzug handelt. Im Hinblick darauf, dass die bloß vorübergehende Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt noch nicht die Zuständigkeit der ...

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