Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitführen einer Schutzwaffe. Versammlung. Strafschärfende Berücksichtigung fehlender Unrechtseinsicht eines schweigenden oder leugnenden Angeklagten. Tatnachverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Schutzwaffeneigenschaft eines in schlichter Konstruktionsweise aus einer durchsichtigen (stabilen) Kunststofffolie selbst hergestellten Visiers zum Schutz der Augen.
2. Wird eine Schutzwaffe ohne jegliche Bereitschaft zur Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen ausschließlich zum eigenen Schutz etwa vor befürchteten Ausschreitungen anderer Demonstrationsteilnehmer oder einer etwaigen "Streuwirkung" gegen andere Demonstrationsteilnehmer gerichteter Polizeieinsätze im Verborgenen mitgeführt, ist zweifelhaft, ob entsprechend des eindeutigen, jedoch gegebenenfalls einschränkend auszulegenden Gesetzeswortlauts hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des "Mitsichführens" einer Schutzwaffe vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung zu § 27 VersammlG sowie des Grundrechts der Versammlungsfreiheit die Annahme einer Strafbarkeit im Sinne des § 27 Abs. 2 Nr. 1 VersammlG gerechtfertigt ist.
3. Von einem leugnenden oder sich nicht einlassenden Angeklagten darf eine Unrechtseinsicht nicht erwartet werden.
4. Das Tatnachverhalten eines Angeklagten darf nur dann erschwerend Berücksichtigung finden, wenn sich hieraus Rückschlüsse auf die innere Haltung des Täters zu seiner Tat oder deren Unrechtsgehalt ziehen lassen.
Normenkette
VersammlG § 17a Abs. 1; StGB § 46; VersammlG § 27 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 8
Verfahrensgang
AG Dortmund (Aktenzeichen 743 Cs 346/15) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit Ausnahme der getroffenen Einziehungsanordnung im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung - Strafrichter - des Amtsgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 02. Dezember 2015 wegen vorsätzlichen Mitührens einer Schutzwaffe bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt und eine bei der abgeurteilten Tat verwendete und nachträglich sichergestellte Maske eingezogen. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte am 28. März 2015 Teilnehmer einer Demonstration unter dem Motto "keine Rückzugsräume für Nazis", welche in E anlässlich zweier gleichzeitig stattfindender Versammlungen der Partei "die Rechte" unter Beteiligung von zunächst ca. 1.000 Menschen stattfand. Der zuletzt noch aus ca. 500 Personen bestehende Aufzug wurde von der Polizei um 16:22 Uhr infolge offensiv-aggressiven Verhaltens der Teilnehmer, aus deren Mitte u.a. pyrotechnische Erzeugnisse auf die polizeilichen Einsatzkräfte geworfen worden waren, beendet, wobei sich der Angeklagte unmittelbar vor Beendigung des Aufzugs zwar am äußeren Rand, aber noch innerhalb der Gruppe der Teilnehmer befand und in der rechten Hand eine Fahnenstange und ein Stoffbanner hielt. Er trug eine schwarze Jacke und darunter einen schwarzen Kapuzenpullover. Die Kapuze seines Pullovers hatte er über den Kopf gezogen. Vor seinem Gesicht trug er eine nach dem äußeren Zuschnitt dem Visier eines Helmes ähnliche rechteckig zugeschnittene durchsichtige Kunststofffolie, mit der Augen und Nase überdeckt und geschützt waren und darunter eine schwarze Sonnenbrille. Durch das Tragen der selbst gefertigten Folie, die mit einem Gummiband am Kopf über der Kapuze befestigt war, wollte der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen verhindern, dass er im Fall eines Polizeieinsatzes oder aber durch Verhalten der anderen Versammlungsteilnehmer durch verwendetes Pfefferspray oder pyrotechnische Erzeugnisse im Gesicht getroffen und in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt werden würde.
Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision, mit der er unter Erhebung der Rüge materiellen Rechts den Antrag verfolgt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die weitergehende Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat - entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft - mit Ausnahme der getroffenen Einziehungsanordnung im Hinblick auf den Rechtsfolgenausspruch zumindest vorläufigen Erfolg.
1.
Hinsichtlich des Schuldspruchs ist die Revision offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Insbesondere ist entgegen der Auffassung der Revision die Beweiswürdigung des Amtsgerichts auch nicht lückenhaft, soweit festgestellt worden ist, dass der Angeklagte die bei ihm festgestellte Schutzfolie auch bereits vor der durch die polizeilichen Einsatzkräfte erfolgten Auflösung ...