Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit der Versäumung der Ausschlagungsfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Die Fehlvorstellung des mit umfangreichen Vermächtnissen beschwerten Alleinerben, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um sich sein Pflichtteilsrecht zu erhalten, ist als Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB zu bewerten, der die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist begründet.
2. Wegen Abweichung von den Entscheidungen des BayObLG (BayObLG, Beschl. v. 16.3.1995 - 1Z BR 82/94, BayObLGReport 1995, 67 = NJW-RR 1995, 904; Beschl. v. 28.4.1998 - 1Z BR 26/93, FGPrax 1998, 146) wird die Sache gem. § 28 Abs. 2 FGG dem BGH vorgelegt.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 1, §§ 1954, 1956, 2306 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Beschluss vom 13.04.2004; Aktenzeichen 6 T 1/05) |
AG Arnsberg (Aktenzeichen 24 VI 26/04) |
Tenor
Die weitere Beschwerde wird gem. § 28 Abs. 2 FGG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Gründe
I. Der Erblasser war in kinderloser Ehe verheiratet mit A. W. die am 15.1.1998 vorverstorben ist. Der Beteiligte zu 1) ist ein Sohn des Erblassers aus seiner Verbindung mit der Beteiligten zu 11), mit der er nicht verheiratet war. Die Beteiligten zu 6) und 10) sind Geschwister des Erblassers, die Beteiligten zu 3) bis 5) sowie 7) bis 9) sind Kinder seines vorverstorbenen Bruders H.E.W.
Der Erblasser hatte mit seiner Ehefrau am 6.12.1939 ein privatschriftliches Testament errichtet, in dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hatten. Nach dem Tod seiner Ehefrau errichtete der Erblasser zunächst ein notarielles Testament vom 24.2.2000, das er jedoch am 15.4.2002 aus der amtlichen Verwahrung zurücknahm. In einem weiteren notariellen Testament vom 16.4.2002 (UR-Nr. .../2002 Notar Dr. K. in B.) setzte er den Beteiligten zu 1) zu seinem alleinigen Erben ein (§ 2). Ferner verfügte er umfangreiche Vermächtnisse mit unterschiedlichen Gegenständen zugunsten der Beteiligten zu 3), 6) und 11) sowie des Beteiligten zu 5) und dessen Ehefrau, der Beteiligten zu 2) (§ 3). Letztere bestimmte er darüber hinaus zu seiner Testamentsvollstreckerin (§ 4); ihr ist nach Annahme des Amtes am 4.3.2004 ein Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt worden (24 VI 52/03 AG Arnsberg).
Das AG hat das Testament des Erblassers am 24.7.2003 eröffnet und anschließend den Beteiligten, darunter dem Beteiligten zu 1), eine Abschrift der Eröffnungsniederschrift nebst einer Testamentsabschrift übersandt; das Schreiben ist am 30.7.2003 abgesandt worden (24 IV 58/02 AG Arnsberg). In einem an die Beteiligte zu 2) gerichteten Schreiben vom 21.8.2003 hat der Beteiligte zu 1) seine Enttäuschung über das Testament des Erblassers unter dem Gesichtspunkt zum Ausdruck gebracht, dass der Wert seines Pflichtteils doppelt so hoch anzusetzen sei wie der Betrag, der ihm unter nur teilweiser Berücksichtigung der Vermächtnisse verbleibe. Ergänzend hat er die Beteiligte zu 2) "gem. § 2215 BGB" aufgefordert, eine Inventarliste zum Nachlass aufzustellen. Anlässlich eines Besuchs in B. am 29.8.2003 hat der Beteiligte zu 1) zusammen mit seiner Mutter Räume und Nachlassbestand besichtigt und Bankordner eingesehen. Mit Schreiben vom 1.9.2003 hat er die Beteiligte zu 2) um die Erteilung weiterer Informationen zum Nachlassbestand ersucht. Diese hat dem Beteiligten zu 1) mit Schreiben vom 26.9.2003 mitgeteilt, er habe durch Ablauf der Ausschlagungsfrist zwischenzeitlich die Erbschaft angenommen. Sie, die Beteiligte zu 2), werde nunmehr mit der Vermächtniserfüllung beginnen.
Der Beteiligte zu 1) hat in notariell beglaubigter Erklärung vom 8.10.2003 (UR-Nr. ... Notar Dr. S. in M.) die Annahme der Erbschaft durch Ablauf der Ausschlagungsfrist angefochten. Zur Begründung ist in der Erklärung ausgeführt, der Nachlass sei derart mit Vermächtnissen belastet, dass er seinen Pflichtteil gefährdet sehe. Dieser Umstand sei ihm zum Zeitpunkt der Annahme nicht bekannt gewesen.
Die Beteiligte zu 2) hat zur Niederschrift der Rechtspflegerin des AG vom 17.3.2004 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der unter Berücksichtigung der Anfechtung des Beteiligten zu 1) die Beteiligten zu 3) bis 10) zu näher aufgeschlüsselten Quoten als gesetzliche Erben des Erblassers ausweisen soll. Einen entsprechenden Erbschein hat das AG der Beteiligten zu 2) am 1.4.2004 erteilt.
Bereits mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 20.4.2004 hat die Beteiligte zu 2) angeregt, den erteilten Erbschein als unrichtig einzuziehen (§ 2361 BGB). Denn es sei davon auszugehen, dass die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist durch den Beteiligten zu 1) unwirksam sei.
Der Beteiligte zu 1) hat daraufhin vorgetragen, ihm sei zwar die Möglichkeit der Ausschlagung der Erbschaft als solche bekannt gewesen, nicht jedoch die Ausschlagungsfrist. Er sei ferner irrtümlich davon ausgegangen, dass ihm sein Anspruch auf den Pflichtteil auch dann zustehe, wenn er die Erbschaft nicht ausschlage, er sogar nicht ausschlagen dürfe, wenn er sich den Pflichtteil erhalten wolle...