Leitsatz (amtlich)
1.
Zur Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse bei Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses.
2.
Bloß Verdächtige, wenn sie nicht als Beschuldigte belehrt sind oder zunächst Zeugenstellung haben, auch wenn sie später zu förmlichen Beschuldigten werden oder Drittgeschädigte und auch Mitbeschuldigte haben keine Ansprüche nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Entscheidung vom 01.02.2006) |
Tenor
1.
Der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben, als die der Angeschuldigten in dem Verfahren 6 Js 74/02 StA Bielefeld/1 KLs St 1/05 I LG Bielefeld entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Angeschuldigte; jedoch wird die Beschwerdegebühr auf die Hälfte ermäßigt. In dieser Höhe trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren.
Gründe
I.
Durch den angefochtenen Beschluss hat die I. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Betruges gegen die Angeschuldigte aus rechtlichen Gründen, nämlich wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses, abgelehnt. Die Strafkammer hat dabei davon abgesehen, die der Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Ferner hat die Strafkammer festgestellt, dass die Staatskasse nicht verpflichtet sei, die Angeschuldigte für die bei ihr durchgeführte Durchsuchung und Beschlagnahme/Sicher-stellung aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Bielefeld vom 19.03.2002 - Az.: 9 Gs 1335/02 - zu entschädigen. Aufgrund dieses Beschlusses war gemäß §§ 94, 95, 98, 103, 105 StPO die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin sowie die Beschlagnahme näher bezeichneter Unterlagen angeordnet worden. Die bei der erst am 12. November 2002 erfolgten Durchsuchung sichergestellten Unterlagen der Angeschuldigten wurden der Angeschuldigten aufgrund der Verfügung der staatsanwaltschaftlichen Dezernentin vom 05.12.2002 am 12. Dezember 2002 wieder ausgehändigt.
Gegen die Nichtauferlegung ihrer im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse und die Versagung der Entschädigung wendet sich die Beschwerdeführerin durch ihren Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde, die sie mit näheren Ausführungen begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß §§ 464 Abs. 3 S. 1, 1. Halbsatz StPO und gemäß § 8 Abs. 3 StrEG statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.
1.
Das Landgericht hat die Auferlegung der der Angeschuldigten im Ermittlungs- und Strafverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse zu Unrecht abgelehnt.
Gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO kann das Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Vorliegend ist die Angeschuldigte aufgrund des vorgelegten Attestes nach den Ausführungen der Strafkammer so schwer erkrankt, dass es ihr nicht möglich ist, einer Gerichtsverhandlung zu folgen und ihre Interessen vernünftig wahrzunehmen.
Voraussetzung einer Freistellung der Staatskasse von den notwendigen Auslagen des Angeschuldigten ist, dass der Angeschuldigte ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit verurteilt worden wäre (vgl. KK-Franke, StPO, 5. Aufl., Rdnr. 10 zu § 767 m.w.N.). Diese Prognose hat in großem Umfang der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Erst die durchgeführte Hauptverhandlung erlaubt dem Richter, sich eine Überzeugung zur Schuldfrage zu bilden. Zwar kann schon auf einer darunter liegenden Stufe des Tatverdachts eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO ergehen (vgl. BGH NStZ 2000, 330 ff.; OLG Karlsruhe, 1981, 38). Die Unschuldsvermutung schließt nämlich nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können deshalb auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden. Jedoch muss aus der Begründung deutlich hervorgehen, dass es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder Schuldzuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage (vgl. BVerfG NStZ 1992, 289; BVerfG NStZ-RR 1996, 45; BGH NStZ 2000, 330).
Eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO setzt indes voraus, dass nach weitgehender Durchführung der Hauptverhandlung bei Eintritt des Verfahrenshindernisses ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortf...