Leitsatz (amtlich)
Dem für die nicht in seinem Haushalt lebenden Kinder barunterhaltspflichtigen Elternteil ist es im Rahmen der für diese Kinder vorzunehmenden Mangelverteilung nach Treu und Glauben versagt, sich für in der Vergangenheit liegende Unterhaltszeiträume auf die Ausfallhaftung für ein weiteres in seinem Haushalt lebendes Kind zu berufen, wenn und soweit er für dieses Kind nicht zurückzahlbare Leistungen nach dem SGB II bezogen hat.
Normenkette
BGB §§ 242, 1603 Abs. 2, § 1606 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Marl (Aktenzeichen 36 F 10/19) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen zu 1 und 2 wird der am 01.04.2021 erlassene Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Marl, unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen, zu Ziffer 1. seines Tenors abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a) Der Antragsgegner wird verpflichtet, für die Antragstellerin zu 1) Kindesunterhalt wie folgt zu zahlen:
Rückständigen Unterhalt in Höhe von 3.399 EUR für die Zeit vom 01.02.2019 bis zum 30.06.2022 an das Land Nordrhein-Westfalen, vertr. durch die Unterhaltsvorschusskasse der Stadt A, sowie laufenden Unterhalt an die Antragstellerin zu 1) in Höhe von 159 EUR monatlich ab Juli 2022.
b) Der Antragsgegner wird verpflichtet, für die Antragstellerin zu 2) Kindesunterhalt wie folgt zu zahlen:
Rückständigen Unterhalt in Höhe von 3.279 EUR für die Zeit vom 01.02.2019 bis zum 30.06.2022 an das Land Nordrhein-Westfalen, vertr. durch die Unterhaltsvorschusskasse der Stadt A, sowie laufenden Unterhalt an die Antragstellerin zu 2) in Höhe von 128 EUR monatlich ab Juli 2022.
2. Soweit die Antragstellerinnen zu 1) und 2) die Beschwerde hinsichtlich des Monats Januar 2019 zurückgenommen haben, werden sie des Rechtsmittels für verlustig erklärt.
3. Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens bleibt es bei der amtsgerichtlichen Entscheidung. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsgegner zu 1/5 und die Antragstellerinnen zu 1) und 2) zu 4/5 als Gesamtschuldnerinnen.
4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 7.138 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 00.00.2010 geborene Antragstellerin zu 1) und die am 00.00.2012 geborene Antragstellerin zu 2) nehmen den Antragsgegner auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch.
Die Antragstellerinnen sind als leibliche Kinder aus der im Jahr 2017 geschiedenen Ehe des Antragsgegners mit ihrer gesetzlichen Vertreterin hervorgegangen. Sie leben im Haushalt ihrer Mutter, die neben dem Kindergeld Leistungen der Unterhaltsvorschusskasse der Stadt A bezieht, welche sich im Jahr 2019 jeweils auf monatlich 202 EUR, im Jahr 2020 auf monatlich 220 EUR, im Jahr 2021 auf monatlich 223 EUR und von Januar bis April 2022 auf jeweils 236 EUR beliefen; seit Mai 2022 beträgt die UVG-Leistung für die Antragstellerin zu 1) 314 EUR und für die Antragstellerin zu 2) weiterhin 236 EUR.
Weiteres eheliches Kind ist der Sohn B, geboren am 00.00.2007, der im Haushalt des Antragsgegners lebt und für den die Mutter, die keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und ein weiteres, 5-jähriges Kind aus einer anderen Beziehung betreut, keinen Unterhalt zahlt. Der Antragsgegner bezieht für B neben dem Kindergeld Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die sich von Februar bis Juni 2019 auf 418,62 EUR monatlich und ab Juli 2019 auf 408,62 EUR monatlich beliefen und die im Jahr 2020 der Höhe nach weitgehend unverändert fortgezahlt wurden. Seit 2021 beträgt die Zahlung monatlich 478,27 EUR.
Der am 00.00.1965 geborene Antragsgegner stammt aus C und lebt seit 1987 in Deutschland. Er hat eine Ausbildung zum Landwirtschaftstechniker, Schwerpunkt (..), in C absolviert, diesen Beruf in Deutschland aber nie ausgeübt. Nach seiner Einreise war er zunächst als Produktionsmitarbeiter tätig und hat etwa ab 1991 eine Schulung zum Autolackierer absolviert. Anschließend war er als Selbständiger mit einer Immobilienfirma, einer Transportfirma, im Bereich der Qualitätskontrolle für die Auto- und High-Tech-Industrie und im Börsenhandel erwerbstätig, wobei er seinen Angaben zufolge zeitweise bis zu 5.000 EUR monatlich verdient hat. Seine Erwerbstätigkeit hat er spätestens 2012 aufgegeben. Bereits während der Ehe bezogen die Beteiligten Leistungen des Jobcenters.
Der Antragsgegner leidet seit Ende der 1990-iger Jahre an einer degenerativen Veränderung der unteren Lendenwirbelsäule. Von August 2018 bis Februar 2019 war er wegen eines Darmtumors in Behandlung.
Erstinstanzlich haben die Antragstellerinnen mit dem am 29.01.2019 rechtshängig gewordenen Antrag zunächst die Erteilung von Auskünften über das Einkommen und Vermögen und zuletzt die Zahlung von Unterhalt in Höhe von jeweils 100 % des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle, abzgl. des hälftigen Kindergeldes, ab Februar 2019 begehrt, wobei Rückstände in Höhe der bezogenen UVG-Leistungen für die Jahre 2019 und 2020 jeweils an das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die Unterhaltsvorschusskasse der Stadt A, zu zahlen sind. Der Antragsgegner hat die Zurückweisung ...