Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes (hier bei einem Krankenhausarzt mit Rufbereitschaft)

 

Verfahrensgang

AG Bielefeld (Aktenzeichen 10 OWi 1744/11)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens zu einer Geldbuße von 600 € verurteilt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene mit einem Pkw am 18. August 2010 gegen 19.49 Uhr in C die E Straße in Fahrtrichtung Innenstadt. Im Bereich der Kreuzung E Straße / C1 Straße passierte er die dort aufgestellte Lichtzeichenanlage, als das für seine Fahrtrichtung geltende Wechsellichtzeichen bereits seit zumindest 1,24 Sekunden rotes Licht anzeigte.

Mit ihrer formell und materiell wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründeten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 BKatV iVm Nr. 132.3 des Bußgeldkatalogs kommt die Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG in der Regel in Betracht, wenn der Fahrzeugführer ein rotes Wechsellichtzeichen bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase nicht befolgt. Die vorgenannten

Regelungen der Bußgeldkatalog-Verordnung begründen auf der tatbestandlichen Ebene eine Vermutung dafür, dass der Verstoß eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG darstellt (Deutscher in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. [2009], Rdnr. 1139), und indizieren auf der Rechtsfolgenseite des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG die Anordnung eines Fahrverbotes als erforderliche und angemessene Sanktion für den Verstoß (Deutscher, a.a.O., Rdnr. 1140).

2. Der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt vermag ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht zu rechtfertigen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene verheiratet sowie Vater einer Tochter und verfügt über ein geregeltes Einkommen. Er ist als angestellter Oberarzt in einem Krankenhaus in S tätig. Dort ist er als einer von zwei Oberärzten für seine Abteilung verantwortlich. Im Rahmen seiner Beschäftigung hat er an jedem zweiten Wochenende sowie zwei- bis dreimal in jeder Woche Rufbereitschaft. Im Rahmen dieser Rufbereitschaft hat er sich auch außerhalb der normalen Arbeitszeit in der Nähe des Krankenhauses aufzuhalten, um im Falle außerplanmäßiger Notfälle zeitnah an seinem Arbeitsplatz eintreffen zu können.

Zur Begründung seiner Entscheidung, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, hat das Amtsgericht ausgeführt, der Betroffene sei zum Tatzeitpunkt auf der Rückfahrt vom Krankenhaus zu seiner Wohnung in C gewesen. Während der Fahrt sei er im Rahmen seiner Rufbereitschaft aufgrund eines Notfalles zurück in die Klinik gerufen worden. Noch bevor er die Fahrtrichtung habe ändern können, sei es zu dem festgestellten Verstoß gekommen. Der Betroffene sei aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit auf seine Fahrerlaubnis angewiesen. Aufgrund der Rufbereitschaft müsse er in der Lage sein, sich in kurzer Zeit - auch zur Nachtzeit - in das Krankenhaus begeben zu können. Da auf seiner Station, ihn eingerechnet, nur zwei

Oberärzte beschäftigt seien, sei es ihm nicht möglich, für die Dauer eines Monates Urlaub zu nehmen.

3. Die Vermutungswirkung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV für das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ist durch die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil nicht widerlegt. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte für ein Augenblicksversagen des Betroffenen vor. Eine grobe Pflichtverletzung kann auch nicht deswegen verneint werden, weil sich der Betroffene aufgrund einer Benachrichtigung durch das Krankenhaus auf der Rückfahrt dorthin zu einem Patienten befand. Unabhängig von der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine etwaige Absicht des Betroffenen, einem leidenden Patienten zu helfen, überhaupt geeignet ist, den Handlungsunwert des vorliegenden Fahrlässigkeitsdeliktes zu mindern, lässt sich dem angefochtenen Urteil schon nicht entnehmen, um welche Art von Notfall es sich handelte. Es ist darüber hinaus kaum anzunehmen, dass die Nichtbefolgung des roten Wechsellichtzeichen...

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