Leitsatz (amtlich)
Die Nichtigkeit einer einzelnen Verfügung in einem Erbvertrag aufgrund einer Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten hat nicht die Gesamtnichtigkeit des ganzen Vertrages zur Folge, wenn ein anderer Wille der Vertragsteile festgestellt werden kann. Dabei kommt es allein auf den Willen beider Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an.
Der Wille der Vertragsparteien, eine wechselseitige Alleinerbeneinsetzung auch dann zu vereinbaren, wenn sie mit der Geburt eines weiteren, im Erbvertrag nicht berücksichtigten Kindes gerechnet hätten, kann angenommen werden, wenn der Erbvertrag von den Eheleuten in der im Vertrag zum Ausdruck kommenden Vorstellung geschlossen wird, dass noch weitere Kinder geboren werden könnten.
Normenkette
BGB § 2079 S. 2, § 2082 Abs. 3, §§ 2279, 2285, 2298 Abs. 1, § 2361
Verfahrensgang
AG Minden (Aktenzeichen 7 VI 521/04) |
Tenor
Die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen D. K. und V. W. gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Minden vom 20. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführerinnen haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der weiteren Beteiligten zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 60.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die durch Beschluss vom 20. Juni 2023 angeordnete Einziehung eines Erbscheins des Amtsgerichts Minden vom 6. September 2004, welcher aufgrund der Annahme der gesetzlichen Erbfolge nach dem am 5. Februar 1974 verstorbenem Erblasser erteilt worden ist.
Die Beschwerdeführerinnen sind die Kinder des Erblassers sowie der am 00. Februar 2023 nachverstorbenen Ehefrau des Erblassers. Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger.
Die Beschwerdeführerin zu 1, D. K., wurde am 00. März 1962 geboren. Nahezu drei Jahre später schlossen der Erblasser und seine Ehefrau, E. M., geb. A., am 00. Januar 1965 vor dem Notar N. J. in C. zur Urkunden-Rolle N01 für 1965 einen Ehe- und Erbvertrag, welcher in § 1 Vereinbarungen zur Gütergemeinschaft und im Übrigen auszugsweise folgende Regelungen enthielt:
"§ 2.
Wir setzen uns hiermit erbvertragsmässig gegenseitig zu alleinigen Erben ein.
Sterbe ich, der Ehemann G. M., vor meiner Ehefrau E. geborene A., so soll diese meine alleinige Erbin sein.
Sterbe hingegen ich, die Ehefrau E. M. geborene A., vor meinem Ehemann G. M., so soll dieser mein alleiniger Erbe sein.
Etwa beim Tode des Erstversterbenden von uns vorhandene Pflichtteilsberechtigte verweisen wir hiermit auf ihre gesetzlichen Pflichtteilsansprüche.
§ 3.
Zum Alleinerben des Letztlebenden von uns berufen wir hiermit unsere Tochter D. M., geboren am 30. März 1962.
§ 4.
Der Letztlebende von uns ist jedoch berechtigt, die Bestimmung des § 3 dieses Vertrages abzuändern, jedoch nur dahingehend, daß anstelle unserer Tochter D. ein anderes aus unserer Ehe hervorgegangenes Kind tritt.
Der Überlebende von uns ist auch berechtigt, anzuordnen, welche Abfindungen sein Alleinerbe an die übrigen aus unserer Ehe hervorgegangenen Kinder zu leisten hat.
§ 5.
Dem Überlebenden von uns bleibt es vorbehalten, über das, was er nach dem Tode des Erstversterbenden von uns noch erwirbt, sowohl unter Lebenden wie auch von Todes wegen frei zu bestimmen."
Am 00. Dezember 1970 wurde die weitere Beschwerdeführerin, V. W., geboren. Der Erblasser verstarb wenige Jahre später am 5. Februar 1974 in R.. Zu einer Eröffnung des vorgenannten Ehe- und Erbvertrages kam es im Anschluss nicht.
Am 00. August 2004 schlossen die Ehefrau des Erblassers sowie die Beschwerdeführerinnen einen Erbauseinandersetzungsvertrag. Dieser enthielt unter anderem Regelungen zur Übertragung einer Hof- und Gebäudefläche F.-straße # in O., G01, eingetragen im Grundbuch von O. Blatt 219. In dem Erbauseinandersetzungsvertrag ist unter anderem ausgeführt worden, dass der Erblasser noch als Eigentümer im Grundbuch von O. eingetragen sei. Der Grundstückseigentümer sei verstorben und aufgrund gesetzlicher Erbfolge beerbt worden von den Erschienenen. Hinweise auf den 1965 geschlossenen Ehe- und Erbvertrag enthält der Erbauseinandersetzungsvertrag nicht.
Am gleichen Tag beurkundete der Notar einen Erbscheinsantrag der Ehefrau des Erblassers E. M., in welchem es unter anderem heißt, letztwillige Verfügungen von Todes wegen des Erblassers seien und wären nicht vorhanden. Es sei daher gesetzliche Erbfolge eingetreten. Den Wert des Nachlasses gab E. M. mit 60.000 EUR an. Am 6. September 2004 erließ das Amtsgericht Minden antragsgemäß den nunmehr eingezogenen Erbschein, der die Ehefrau des Erblassers zu ½ sowie die beiden Beschwerdeführerinnen jeweils zu ¼ aufgrund gesetzlicher Erbfolge als Erben des Erblassers auswies.
Am 00. Februar 2023 verstarb E. M., die Ehefrau des Erblassers. Im Nachgang dazu wurde aufgrund einer Sterbefallmitteilung des Zentralen Testamentsregisters vom 6. März 2023 an das Amtsgericht - Nachlassgericht - Minden der ...