Verfahrensgang

AG Hamm (Beschluss vom 28.09.2016; Aktenzeichen 32 F 243/16)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindesmutter vom 24.10.2016 wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Hamm vom 28.9.2016 abgeändert.

Der Antrag des Kindesvaters vom 11.8.2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.

Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 5.000,00 bestimmt.

 

Gründe

I. Die Kindeseltern streiten um die Rückgabe ihrer gemeinsamen Töchter, der am ... 2010 geborenen X und der am ... 2012 geborenen Y, gemäß dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Convention sur les aspects civils de l'enlèvement international d'enfants; "Haager Übereinkommen", "HKÜ") vom 25.10.1980. Die Kindeseltern waren und sind nicht miteinander verheiratet.

1. Der Kindesvater ist französischer Staatsbürger und wohnt in B im Département Haute-Garonne in Frankreich. Die Kindesmutter ist deutsche Staatsbürgerin und wohnt derzeit mit X und Y in F in Nordrhein-Westfalen. Die Kindeseltern lernten einander im Jahr 2006 in Hamburg kennen, von wo die Kindesmutter dem Kindesvater nach B folgte. Dort lebten beide für etwa sieben Jahre in einer gemeinsamen Wohnung, dann seit Februar 2014 in getrennten Wohnungen, und im dortigen Hauptort H wurden auch X und Y geboren. In B waren beide Kindeseltern zuletzt berufstätig, während X die Vorschule (école maternelle) besuchte und Y von einer Tagesmutter betreut wurde. Für das Jahr 2015/16 war auch Y bereits in der Vorschule angemeldet.

Nach der Trennung der Kindeseltern bestimmte das Tribunal de Grande Instance de Toulouse durch Entscheidung vom 18.7.2014 (R. G. no. 14/22642), dass die Kindeseltern die elterliche Sorge für X und Y gemeinsam ausüben sollten und dass sich X und Y wöchentlich wechselnd im mütterlichen und im väterlichen Haushalt aufhalten sollten. Die Aufenthaltsregelung sollte zunächst für sechs Monate gelten, wurde aber durch weitere Entscheidung vom 26.2.2015 bestätigt, ebenso wie die gemeinsame elterliche Sorge und ihre gemeinsame Ausübung. Ausdrücklich wurde in der Entscheidung vom 26.2.2015 auch festgehalten, dass X und Y aus Frankreich nur ausreisen durften, wenn beide Kindeseltern zustimmten. Eine in beiden Entscheidungen vom 18.7.2014 und vom 26.2.2015 jeweils angeordnete elterliche Mediation scheiterte, wofür die Kindeseltern sich gegenseitig verantwortlich machen.

2. Am Donnerstag, den 9.4.2015, übergab der Kindesvater X und Y der Kindesmutter zum wöchentlichen Aufenthalt in deren Haushalt. Als er die Kinder am Donnerstag, den 16.4.2015, wieder in seinen Haushalt übernehmen wollte, stellte er fest, dass die Kindesmutter ihre Wohnung und Arbeitsstelle aufgegeben und sich ohne sein Wissen mit beiden Kindern an einen unbekannten Ort begeben hatte.

Der Kindesvater rief am 22.4.2015 das französische Justizministerium als zentrale Behörde im Sinne des Art. 6 HKÜ an, das seinerseits das deutsche Bundesamt für Justiz und das österreichische Bundesministerium für Justiz einschaltete. Die Ermittlungen der deutschen und österreichischen zentralen Behörden blieben jedoch ebenso erfolglos wie eine Melderegisteranfrage des Kindesvaters in Deutschland. Am 11.6.2015 erstattete der Kindesvater in Frankreich Strafanzeige gegen die Kindesmutter, was wiederum Rechtshilfeersuchen an Deutschland und Österreich nach sich zog. Weder die französischen Behörden noch die Staatsanwaltschaft Lüneburg oder die Landespolizeidirektion K konnten Kindesmutter und Kinder jedoch ausfindig machen.

Am 19.8.2015 erließ das Tribunal de Grande Instance de Toulouse deshalb Haftbefehl gegen die Kindesmutter wegen Kindesentziehung im Sinne der französischen Strafgesetze. Frankreich betreibt die Auslieferung der Kindesmutter, weshalb die Kindesmutter Ende September 2016 vom AG Minden angehört wurde (III-2 Ausl. 196/16 Oberlandesgericht Hamm - 4 Ausl A 211/16 Generalstaatsanwaltschaft Hamm; 13 Gs 191/16 AG Minden).

3. Die Kindesmutter war zwischen dem 9.4.2015 und dem 16.4.2015 mit X und Y von Frankreich nach Deutschland gereist, wo sie einen falschen litauischen Personalausweis auf den Namen "C1" nutzte. Während sie im ersten Rechtszug unwidersprochen gelassen hat, dass sie mit X und Y zunächst "bei Bekannten" in der "Nähe von F" gewohnt habe, behauptet sie im zweiten Rechtszug, dass sie mit ihren Kindern bei einer Familie L in M in Niedersachsen gewohnt habe. Am 16.7.2016 jedenfalls meldete sich die Kindesmutter - immer noch unter falschem Namen - in F an und bezog ihre jetzige Wohnung. Dort machte sie noch im Sommer 2016 der Kindesvater ausfindig, was u.a. zur Aufklärung ihrer Personalien führte. Seither wohnen im wöchentlichen Wechsel auch der Vater, die Mutter und der Onkel der Kindesmutter in deren Wohnung in F, insbesondere um X und Y auf ihren Wegen zu und von Schule und Kindergarten zu begleiten. Bevor die Kindesmutter in F Wohnung nahm, hatten X und Y in Deutschland keinen Kindergarten und keine Schule besucht.

4...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?