Leitsatz (amtlich)

1. Eine der Richtlinie 2000/35/EG (Zahlungsverzugsrichtlinie) konforme Auslegung der §§ 269, 270 BGB ist nicht dahingehend geboten, dass als Erfüllungsort von Geldschulden der Sitz des Gläubigers maßgeblich ist und mithin ein allgemeiner Klägergerichtsstand für den Gläubiger von Geldschulden gem. § 29 Abs. 1 ZPO anzunehmen ist.

2. Leistungsort für Geldschulden (§ 269, 270 Abs. 4 BGB) und somit Gerichtsstand des Erfüllungsortes i.S.v. § 29 Abs. 1 ZPO ist auch unter Berücksichtigung der gem. Urteil des EuGH vom 3.4.2008 - Rs. C-306/06 01051 gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des materiellen Rechts zum Schuldnerverzug der Sitz des Schuldners.

 

Verfahrensgang

LG I.

 

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das LG I bestimmt.

 

Gründe

A. Die Klägerin nimmt die Beklagten, die ihren jeweiligen Wohnsitz in T bzw. T1 haben, jeweils aus einer Darlehensbürgschaft in Höhe des Bürgschaftsbetrages von 60.000 EUR sowie auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Anspruch.

Sie hat die Klage vor dem LG B erhoben und zur Begründung der Zuständigkeit dieses Gerichts zunächst die Ansicht vertreten, dass es sich bei der Bürgschaftsschuld in Ansehung der Richtlinie 2000/35/EG (Zahlungsverzugsrichtlinie) um eine modifizierte Bringschuld handele, weshalb der besondere Gerichtsstand des § 29 ZPO (Erfüllungsort) am Wohnsitz der Klägerin begründet sei.

Dem haben die Beklagten widersprochen und die örtliche Zuständigkeit des LG B gerügt.

Mit Verfügung vom 4.7.2014 hat das LG B darauf hingewiesen, dass seine örtliche Zuständigkeit nicht bestehe. Ein besonderer Gerichtsstand gem. § 29 ZPO sei bei ihm nicht begründet.

Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 10.7.2014 die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes beantragt und nunmehr angeregt, das LG I als zuständiges Gericht zu bestimmen.

B. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

I. Das OLG Hamm ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO zu der Bestimmung der Zuständigkeit berufen, da zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste LG B gehört.

II. Der Zuständigkeitsbestimmung steht nicht entgegen, dass der Rechtsstreit bereits rechtshängig ist. Zwar geht der Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ("verklagt werden sollen") vom Regelfall einer Zuständigkeitsbestimmung vor Anhängigkeit bzw. Rechtshängigkeit aus; er ist jedoch - wie allgemein anerkannt - zu eng, so dass die Norm insbesondere auch noch nach einer Klageerhebung angewendet werden kann (vgl. vgl. Senat, Beschluss vom 13.2.2012, I-32 SA 5/12, zitiert bei juris. de; Vollkommer in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 36 Rz. 16 m.w.N.). Die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beruht auf Zweckmäßigkeitserwägungen. Es kann im Interesse der Parteien liegen, bei einer von vornherein gegen mehrere Beklagte (mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen) gerichteten Klage auch noch nach Klageerhebung ein für alle Beklagten zuständiges Gericht zu bestimmen, um die Entscheidung des Rechtsstreits durch ein einziges Gericht herbeizuführen. Dass diese Zweckmäßigkeitserwägungen vorliegend zurücktreten müssten, weil aufgrund des Prozessstands die Bestimmung eines anderen als des mit der Klageerhebung angerufenen Gerichts aus Gründen der Prozessökonomie praktisch ausscheidet und damit dem übergeordneten Gericht im Ergebnis keine Wahlmöglichkeit bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bleibt, ist nicht ersichtlich.

III. Die Beklagten werden selbständig als Bürgen auf die auf eine identische Hauptverbindlichkeit bezogene Bürgschaftsschuld in Anspruch genommen und sind damit einfache Streitgenossen im Sinne der weit auszulegenden §§ 59 ff. ZPO (vgl. hierzu etwa Senat, a.a.O.).

IV. Die Beklagten weisen unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände auf - T im LGbezirk X (§§ 12, 13 ZPO) und T1 im LGbezirk I (§§ 12, 13 ZPO).

Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand lässt sich für den Rechtsstreit nicht zuverlässig feststellen.

Insbesondere folgt aus der Akzessorietät der Bürgschaft kein gemeinsamer Erfüllungsort am Erfüllungsort der Hauptschuld. Vielmehr ist Erfüllungsort der Bürgschaft der (Wohn-) Sitz des Bürgen, wenn nicht die Maßgeblichkeit des Erfüllungsortes der Hauptverbindlichkeit ausdrücklich vereinbart worden ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 29 Rz. 25 "Bürgschaft u Garantie"); eine solche Abrede ist zwischen den Parteien unstreitig nicht geschlossen worden.

Entgegen der mit der Klage vertretenen Auffassung der Klägerin liegt der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem. § 29 Abs. 1 ZPO nicht deshalb am Wohnsitz der Klägerin, weil es sich bei der Bürgschaftsschuld um eine Geldschuld handelt. Bei Geldschulden handelt es sich anders als die Klägerin ausführt nicht um Bringschulden, sondern um qualifizierte Schickschulden mit der Folge, dass der Erfüllungsort gem. §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB der Wohnsitz des Schuldners ist, er aber gem. § 270 Abs. 1 BGB nochmals leisten muss, wenn das Geld auf dem Weg zum Schuldner verlorengeht.

Es kann hier dahinstehen, ob ein...

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