Entscheidungsstichwort (Thema)
sofortige Beschwerde. Frist. Versäumung. Wiedereinsetzung. Verschulden
Leitsatz (amtlich)
Beauftragt ein Rechtsmittelführer erst am Nachmittag des Tages des Fristablaufs telefonisch über das Sekretariat einer Anwaltskanzlei seinen Verteidiger mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels, muss er damit rechnen, dass dieser Auftrag dem - möglicherweise abwesenden - Verteidiger nicht rechtzeitig zur Kenntnis gelangte und bereits deshalb eine rechtzeitige Rechtsmitteleinlegung durch diesen Verteidiger nicht möglich war. Jedenfalls wird der Verurteilte in solchen Fällen darauf hinweisen müssen, dass die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels am selben Tag abläuft, insbesondere, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, dass dem Verteidiger das Datum des Fristablaufs nicht bekannt ist.
Normenkette
StPO § 44
Verfahrensgang
LG Paderborn (Entscheidung vom 02.11.2016; Aktenzeichen 12 StVK 227/16) |
Tenor
- Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.
- Die sofortige Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.
Gründe
I.
Das Landgericht Dortmund hat mit Urteil vom 9.9.1994 die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.
Die Maßregel wird seit dem 24.2.1995 vollzogen.
Zuletzt ordnete das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Paderborn am 2.11.2016 die Fortdauer der Unterbringung an. Gegen diesen Beschluss, der dem Verurteilten ausweislich der sich in der Verfahrensakte befindlichen Zustellungsurkunde am 25.11.2016 zugestellt worden ist, hat er durch Schreiben seines Verteidigers vom 5.12.2016, eingegangen beim Landgericht Paderborn am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt.
Nach Hinweis auf die versäumte Beschwerdefrist hat der Verurteilte mit am 27.12.2016 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beantragt. Zur Begründung hat der Verteidiger ausgeführt, dass er selbst am Tag des Fristablaufs, Freitag den 2.12.2016, nicht in seinem Büro anwesend gewesen sei. Seine Sekretärin habe folgenden Vermerk aufgenommen: "Anruf von Herrn I, Schriftsatz geht so in Ordnung". Unter dem 30.11.2016 habe der Verteidiger an den Verurteilten unter anderem Folgendes geschrieben: "Bitte teilen Sie mir möglichst kurzfristig mit, ob ich gegen den Beschluss vorgehen soll. Dieser ist offenbar bei Ihnen zugestellt worden. Ab diesem Tag beginnt die einwöchige Frist zur Einlegung des zulässigen Rechtsmittels. Wenn Sie also möchten, dass das Oberlandesgericht nochmals über die Sache entscheidet, melden Sie sich bitte kurzfristig bei mir." Der Verteidiger - so der diesbezügliche Vortrag - habe die Sekretärin nicht ausreichend instruiert, bei einem möglichen Anruf des Verurteilten den Fristablauf zu beachten. Eine klare Weisung zur Einlegung der sofortigen Beschwerde sei bei dem Verurteilten, der unter erheblichen Sprachschwierigkeiten und an einer frühkindlichen Hirnschädigung leide, nicht zu erwarten.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie erkannt.
II.
1.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde ist gemäß §§ 44, 45 StPO zulässig.
Er ist aber in der Sache ohne Erfolg, da ein eigenes Verschulden des Verurteilten an dem Fristversäumnis nicht ausgeräumt, vielmehr bestätigt wird.
Bei der Beurteilung der Verschuldensfrage - insoweit ist im Sinne der materiellen Gerechtigkeit eine großzügige Auslegung geboten - kommt es darauf an, ob bei Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles der Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers verneint werden kann. Entscheidend ist insoweit die ihm mögliche und zumutbare Sorgfalt. Dazu müssen unter Beachtung der Eigenschaften und Verhältnisse des Antragstellers sowie der allgemeinen Umstände die Anforderungen und die Sorgfalt ermittelt werden, die ihm gerechterweise zuzumuten sind. Auf dieser Grundlage ist ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes eigenes Verschulden anzunehmen, wenn derjenige, der die Verfahrenshandlung - hier die Einhaltung der Rechtsmittelfrist - wahrzunehmen hatte, bei Beachtung der ihm nach Lage des Falles obliegenden Sorgfalt den Eintritt des Ereignisses - hier die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels gegen das erstinstanzliche Urteil - hätte abwenden können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Januar 1999 - 1 Ws 61/99 - VRS 96, 374).
Da der Verurteilte erst am Nachmittag des Tages des Fristablaufs telefonisch über einen Dritten einen Verteidiger mit der Revisionseinlegung beauftragte, mußte er damit rechnen, dass dieser Auftrag dem - möglicherweise abwesenden - Verteidiger nicht rechtzeitig zur Kenntnis gelangte und bereits deshalb eine rechtzeitige Revisionseinlegung durch die...