Leitsatz (amtlich)
Kann die Entscheidung des AG, das von Amts wegen eingeleitete Sorgerechtsverfahren gem. §§ 1666, 1666a BGB zu beenden, nach dem Akteninhalt und mangels Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht nachvollzogen werden, kommt auf Antrag eines Beteiligten eine Aufhebung des Beschlusses und eine Zurückverweisung an das AG in Betracht. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Anhörung des betroffenen Kindes entgegen § 159 FamFG unterblieben ist.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a; FamFG § 69 Abs. 1 S. 3, § 159
Verfahrensgang
AG Borken (Aktenzeichen 34 F 1/10) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss vom 19.1.2011 wird einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das AG - Familiengericht - Borken zurückverwiesen, das auch über die außergerichtlichen Kosten des vorlie-genden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das vorliegende Beschwerdeverfahren wird abgesehen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das vorliegende Sorgerechtsverfahren wurde durch das AG von Amts wegen eingeleitet, nachdem dieses durch die Kreispolizeibehörde C am 28.12.2009 von einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls im Haushalt des Kindesvaters informiert wurde. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat das AG ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten gemäß Beschluss vom 29.1.2010 eingeholt. Die Sachverständige Dipl.-Psych. L ist in ihrem Gutachten vom 8.10.2010 u.a. zu der Einschätzung gekommen, dass T in der Vergangenheit massiv und wiederholt durch physische und psychische Abwesenheit der Hauptbezugspersonen (bedingt durch massive Persönlichkeits- und Suchtproblematik von Kindesmutter und Kindesvater) und damit mangelnde Fürsorge und Betreuung über alle bindungsrelevanten Phasen vernachlässigt wurde, auch in emotionaler Hinsicht. T musste aufgrund der familiären Situation zu Lasten ihrer eigenen Persönlichkeits- und Autonomieentwicklung ihre eigenen Empfindungen und Bedürfnisse zurückstellen und sich in ihrer Verhaltensausrichtung an den Bedürfnissen und Stimmungen der durch die Persönlichkeits- und Suchtproblematik stark beeinträchtigten Eltern orientieren. Sie ist dadurch massiv gestört. Damit sie die Defizite hinsichtlich der eigenen Autonomie- und Persönlichkeitsentwicklung sowie die noch bevorstehenden Entwicklungsaufgaben für sich bewältigen kann, benötigt T - so die Sachverständige - ein sicher strukturiertes Umfeld sowie intensive Förderung durch fachliche Hilfen (pädagogische oder psychologische) und durch das Umfeld, in dem sie lebt. Der Kindesvater ist nach Einschätzung der Sachverständigen aufgrund der gegebenen massiven unbewältigten Alkoholproblematik in Kombination mit einer massiven Persönlichkeitsproblematik (den damit einhergehenden Defiziten, Emotionen nicht angemessen regulieren zu können, in Problem-Belastungssituationen mit Unbeherrschtheiten und aggressiven Ausbrüchen zu reagieren, seinen Mängeln, Beziehungen nicht angemessen gestalten zu können sowie seiner Neigung, augenblicksbestimmt wahrgenommene Stimmungen und Bedürfnisse sofort und ohne Rücksichtnahme auf Bedürfnisse und Stimmungen anderer durchzusetzen) in seiner Erziehungsfähigkeit auf absehbare Zeit derart massiv eingeschränkt, dass er die Verantwortung für die Betreuung eines Kindes nicht alleinverantwortlich übernehmen und ein sicheres/stabiles Umfeld für seine Tochter nicht gewährleisten kann. Die Sachverständige hat aus diesem Grund empfohlen, das Sorgerecht für T zum Schutz des geistigen, körperlichen und seelischen Wohls auf einen Vormund zu übertragen. Allerdings sei es vor dem Hintergrund, dass T schon wiederholt Beziehungsabbrüche habe erleben müssen, von einem massiv gestört verlaufenen Bindungsaufbau ausgegangen werden müsse und T nun im Haushalt des Kindesvaters eine Kompensation der erlebten Belastungen und Ängste in einer Idealisierung des väterlichen Umfelds gefunden habe und von Dritten übereinstimmend in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung für T beschrieben werde, nicht dem Kindeswohl dienlich, T durch eine Fremdunterbringung die selbst geschaffene Sicherheit wieder zu nehmen. Die Sachverständige hat empfohlen, T im Haushalt des Kindesvaters zu belassen, sofern dieser sich umgehend einer qualifizierten Entgiftungs-/Entwöhnungsbehandlung zur Bewältigung seiner massiven Alkoholproblematik sowie einer gründlichen und langfristigen psychotherapeutischen Maßnahme zur Aufarbeitung seiner massiven Persönlichkeitsproblematik (Bindungsstörung, Defizite in der Emotionalverwaltung, Verhaltensausrichtung ausschließlich nach augenblicksbestimmt wahrgenommenen Stimmungen und Bedürfnissen) unterzieht, wobei der Kindesvater den Erfolg der Maßnahmen durch regelmäßige Einreichung von Zwischenberichten (Psychotherapie) bzw. Alkoholabstinenz durch vierteljährliche Laborwertkontrollen nachweisen sollte.
Die Kindesmutter hat in ihrer Stellungnahme zum Sachverständigengutachten erhebl...