Leitsatz (amtlich)
1. Übernahme der tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils im Zivilverfahren.
2. Schmerzensgeldbemessung wegen schweren sexuellen Missbrauchs.
Normenkette
BGB §§ 823, 253; ZPO § 114; StGB § 176 Abs. 1 Fassung: 1998-04-01, § 176a Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1998-04-01
Verfahrensgang
LG Bochum (Beschluss vom 11.11.2014; Aktenzeichen 4 O 126/14) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Bochum vom 11.11.2014 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.
Dem Beklagten wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt C ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit er sich gegen eine den Betrag von 65.000 EUR übersteigende Schmerzensgeldforderung nebst darauf entfallender Zinsen wendet.
Gründe
I. Der Beklagte ist durch rechtskräftiges Urteil des LG Bochum II - 8 KLs-36 Js 304/09-9/10 vom 20.8.2010 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 143 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt worden. Die Taten richteten sich gegen den am xx. xx. 1993 geborenen Kläger und dessen am xx. xx. 1991 geborenen Bruder X, bei denen es sich um die Kinder des Beklagten aus dessen Ehe mit Frau T handelt. Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nutzte der seit 1996 getrennt lebende und 1997 geschiedene Beklagte die Besuche des Klägers spätestens seit 1999 bis Juli 2004 in 66 Fällen dazu, an dem Glied des Klägers in der Absicht zu manipulieren, sich sexuell zu erregen. Der Kläger berichtete der Mutter hierüber nicht, weil der Beklagte ihm für diesen Fall angedroht hatte ihn "grün und blau" zu schlagen. Im Juli 2004 zog der Kläger auf Vorschlag des Beklagten zu diesem, weil der Kläger Probleme mit der inzwischen wiederverheirateten Mutter hatte, deren neue Familie in äußerst bescheidenen finanziellen Verhältnissen lebte. Im August 2004 führte der Beklagte während eines gemeinsamen Urlaubs auf Gran Canaria gegen den Willen des Klägers nach vorheriger Gewaltanwendung den Analverkehr bis zum Samenerguss aus. Bis Oktober 2005 kam es in mindestens weiteren 30 Fällen zum Analverkehr mit Samenerguss mit dem Kläger. Der Kläger offenbarte sich seiner Mutter im Oktober 2005. Zu einer Anzeige konnte diese sich nicht durchringen. Die Vorgänge brachte schließlich eine Schwägerin der Mutter des Klägers zur Anzeige. Nachdem der Bruder des Klägers sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte, nahm der Kläger, der zuvor in einer polizeilichen Vernehmung seine Angaben wiederholt hatte, die erhobenen Vorwürfe zurück. Das Verfahren gegen den Beklagten wurde am 8.2.2006 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Zeitraum vom 06.09 bis 24.11.2006 befand sich der Kläger wegen seines auffällig aggressiven Verhaltens und wegen eines mit der Gabe von Ritalin und Flubtin therapierten Aufmerksamkeitsdefizits in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in C. Obwohl dort der Verdacht auf sexuellen Missbrauch durch den eigenen Vater aufgrund einer Mitteilung der anzeigerstattenden Schwägerin bekannt war, wurde der Kläger insoweit nicht therapiert. Stattdessen verwies die zuständige Psychologin die Mutter des Klägers auf die Einrichtung "Neue Wege". Zur erneuten Anzeige gegen den Beklagten kam es am 9.7.2009 durch X I, nachdem dieser sich der Zeugin S offenbart hatte und diese anschließend den Familientherapeuten X1 informierte.
Wegen der zum Nachteil des Bruders des Klägers begangenen Taten sexuellen Missbrauchs in 77 Fällen ist der Beklagte durch Urteil des LG Bochum vom 31.8.2012 neben der Feststellung eines materiellen und immateriellen Vorbehalts zu einer Schmerzensgeldzahlung von 30.000 EUR verurteilt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 22.2.2013 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, das 100.000 EUR nicht unterschreiten sollte und Feststellung, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten resultiert.
Das LG hat dem Prozesskostenhilfeantrag des Klägers in vollem Umfang entsprochen. Den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten, der die Taten und die von dem Kläger behaupteten psychischen Folgen bestreitet, hat das LG durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Der sofortigen Beschwerde des Beklagten hat es nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem Senat vorgelegt.
II. Die gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gem. §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2, 823 Abs. 2 i.V.m. § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (jeweils in der im Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Fassung v. 1.4.1998) zu.
Ein Zivilgericht kann sich zum Zweck seiner eigenen Überzeugungsbildung, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetra...